Heimat

gesucht, geschmäht, benutzt. Ein paar Gedanken.

Wenn man mal woanders lebt, also z.B. im Ausland, neigt man dazu vieles in Frage zu stellen. Ist die neue Gesellschaft, besser, schlechter oder nur anders als die verlassene? Von außen werden Fragen herangetragen – neugierige oder misstrauische. Warum habt ihr uns verlassen oder warum seid ihr hierher gekommen?

Das berührt einiges, auch den Begriff Heimat. Wo ist man daheim? Dahoam is dahoam, also Straße und Hausnummer, oder?
Heimat ist ein Ort.

Es ist modisch geworden, nach der Heimat zu fragen. Meist geht es dabei um Heimatgefühle, also Emotionen, das Herz, ein bisschen diffus vielleicht, aber sooo wichtig.

Das war nicht immer so. Heimat bedeutete nüchtern so etwas wie ein Aufenthaltsrecht, oft geknüpft an einen mindestens minimalen Besitz, der eben Rechte wie den Aufenthalt mit sich brachte. Zum gefühlten Ort oder zu einer Sehnsucht nach der Welt von Gestern wurde Heimat erst später, als mehr Raum war für einen Platz in der Heimat – vielleicht sogar erst mit Gründung des Deutschen Reichs.
Heimat ist ein Daseinsrecht.

Die deutsche Sprache hat mit der Heimat, einem Inhalt, der kaum übersetzt werden kann, etwas eigenes geschaffen, etwas außer-patriotisches, was politisch genutzt oder beschmutzt werden kann, jedoch nicht mit einem Land oder politischen System verbunden sein muss.

Dazu wird Heimat immer auch in Kultur verortet oder in einer Sprache – meist der Muttersprache.
Heimat ist Wohlfühlen.

Jemandem, der keine Heimat hat, oder dem eine Heimat zu haben, abgesprochen wird, wird mit Misstrauen begegnet. Wenn man Glück hat, mit Mitleid. Vor allem, wenn man davon ausgeht, dass man Heimat nicht erwerben kann, dass man quasi in sie hineinwachsen muss und wenn das nicht passiert ist, kann man das nie wieder nachholen.
Heimat ist Dazugehören.

Oft ist Heimat etwas Positives bis ins zuckrig, klebrig Gehende. Man hat keine schlechte Heimat, das gibt es nicht. Ist keine gute Bindung an was auch immer vorhanden, hat man keine Heimat, man ist heimatlos. Klingt fast so traurig wie Waisenkind.
Heimat ist positiv.

Zur Heimat gibt es viele Definitionen und persönliche Antworten. Sie gehört in den Kreis um die persönliche Identität und zu jeder Nationalismusdebatte.

Multiple Heimaten

Die Frage, ob man mehr als eine Heimat gleichzeitig benennen könne und ob das überhaupt möglich sei, wird selten gestellt und wenn dann meistens verneint. Wie kann so etwas Spezielles, Kostbares, dieses Bauchgefühl, mehrfach vorhanden sein? Ist es nicht auch eine Verpflichtung? Schwingt hier der vaterlandslose Geselle mit hinein, der von den Konservativen den Linken vorgeworfen wurde, als würde diese Beleidigung den politischen Gegner für eine Debatte auf Augenhöhe abqualifizieren?
Heimat ist eine Waffe.

Zeit für Neues, oder: das 21. Jahrhundert sollte mal für was gut sein.

Manchmal hat sogar im Herz eines Menschen mehr Platz als man meinen möchte. Meiner Erfahrung nach kann man eindeutig mehrere Heimaten haben, man muss sie sich halt manchmal erarbeiten. Im konkreten Fall bietet sich Freilassing mehrfach als Heimat an, da drei Kritereien zutreffen. a) 20 prägende Jahre an einem Ort machen ihn vertraut (gezähmt, würde der kleine Prinz bzw. der Fuchs sagen). b) dort gab und gibt es Familie c) enorm wichtig: verstanden werden durch Dialekt und auch ohne Worte.

Bonn, Köln, Münster, Ulm, sie alle hatten die Chance, sich als Heimat, zumindest als vorübergehende, zu bewerben bzw. mich auszuspucken. Letzteres hat kein Ort getan, manche waren sperriger als andere, doch man muss auch beitragen, dann wird’s schon was.

Tattenhall dagegen befindet sich in einem anderen Land. Für viele Leute wird der Gedanke dann schon schwieriger. Kann es Heimat sein? Will es Heimat sein? Und wenn ja, wie viele?

Kürzlich, bevor wir über Weihnachten nach Deutschland geflogen sind, hat mich ein Bekannter gefragt, ob ich mich auf ‚home’ freuen würde. Ich habe ihm geantwortet, dass ja, aber auch hier wäre ‚home’. Er war überrascht. Ich sagte, ich hätte hier bereits viele Erinnerungen (also gelebte Erfahrungen). Der Gedanke schien ihm neu. Es könnte seinen Horizont erweitern, immer hat er zwei erwachsene Kinder in Australien verheiratet …

Heimat ist, was man daraus macht. Auf geht’s.