Perspektivenwechsel I

Im Wasser wechseln die Perspektiven. Jeder Ruderschlag, jeder Armschlag schafft neue Sichtachsen. In der Realität, manchmal auch im Kopf.
Man kann argumentieren, Bergwanderungen z.B., bewirkten das auch. Und das stimmt. Jeder Schritt eine Veränderung im Blickfeld, in der Ansicht. Es geht jetzt nicht um ein Rennen, wer gewohnte Sehweisen entschiedener durcheinanderrüttelt: der Unterschied Berge / Wasser besteht darin, die guten alten Felsen sind ziemlich statisch, da bewegt sich für das menschliche Auge erst mal nichts. Wasser dagegen ist in Bewegung. Der alte griechische Spruch “Man geht niemals 2x durch denselben Fluss”, bestimmt voll tiefer Bedeutung, Philosophie etc. pp, stellt nichts weiter als eine Beobachtung dar: Wasser ist flüssig. Stein nicht so sehr.

Sund von Plymouth in morgendlicher Ruhe.

Der Plymouther Sund ist belebt. Boote, Schwimmende, eine Hafenfähre fährt geschäftig vorbei, eine schicke Segeljacht macht ein schnittiges Wendemanöver, vielleicht läuft sogar ein Marineschiff nach monatelanger Mission ein, MatrosInnen an der Reling stehend. Am Horizont wechseln sich Silhouetten ab, Frachtschiffe, Segel, es ist der Ärmelkanal, eine der belebtesten Wasserstraßen der Welt. Die Fähre aus Frankreich nutzt ihr Horn, um ihre Einfahrt anzukündigen, StehpaddlerInnen gleiten lautlos vorbei und kleine Jollen wagen sich aufs Wasser. Das Ufer ist für Schwimmende reserviert, es gibt Begrenzungsbojen.

Eine neue Erscheinung: Schwimmende mit eigener neonbunter Plastikboje, die an einem Seil um den Bauch gebunden mitgeführt wird. Aufblasbar. Irgend ein geschäftstüchtiger Kopf hat diese Dinger erfunden, sie werden in Plymouth von geschätzt 50% der Badenden benutzt.

Auf der Landseite ragt die hohe Felsküste mit dem heute nur dekorativen Leuchtturm auf. Das Meer wird über zick-zack verlaufende Treppen erreicht, die, halb dem Blick verborgen, dann schon fast überraschend irgendwann auf Meeresebene führen. Spaziergehende flanieren auf der Kante dieser Plymouther Höhe (The Hoe, das ist ein Eigenname, keine Übersetzung von Höhe), genießen die Aussicht, schauen mit gemischten Gefühlen auf die Badenden. Die einen bedauern, ihre Badezeugs nicht eingepackt zu haben, die anderen finden Meerwasser grundsätzlich zu kalt. Man kann es den Leuten ansehen, was sie denken. Und manchmal schnappt man eine Bemerkung auf.

Im Wasser


Ich blicke ein bisschen neidisch auf die flott Kraulenden, die scheinbar mühelos entlang der Küste vorbeiziehen. Bin neugierig wie es geht, doch meine übliche Methode, mir etwas Neues durch Videos vertraut zu machen, stößt an Grenzen. Kraulen ist so technisch. Ich beginne, einzelne Teile abgetrennt zu üben. Das Paddeln mit den Beinen. Aus der Hüfte heraus, bitte. Unter Wasser ausatmen, ohne zu denken, man ertrinkt sofort. Deutlich eine Geistesübung. Ich denke beim Singen auch nicht, ich ersticke, warum also im Wasser. Es gilt, Wasser nicht anders zu sehen als eine langgezogene Phrase mit Luftmanagement. Und so fort. Die Lehrvideos sind alle im Becken gefilmt. Das Meer spielt da nicht mit, mit seinen ständig wechselnden Wellenhöhen, Ebbe und Flut. Sagen wir mal so: ist in Arbeit;-)

Plymouth Sund ist geschützt. Oft sind die höchsten Wellen nur die, die von vorbeifahrenden Schiffen erzeugt werden. Wind peitscht das Wasser anders auf, es entstehen kurze, krause Wellen mit zackigen Kämmen. Rauhe See wie Felskanten. Ein stetiger Wind schafft höhere, doch ruhigere Wellen, eine Dünung. Am schönsten ist ein zarter Wind und eine zarte Strömung, die runde Wellen erzeugen. Kleine Wellen, die sich in noch kleinere Wellen auflösen, konkav, konvex, konkav, konvex, poliertes Metall. Nicht unähnlich, doch hübscher als die Plastikplane, die in der Augsburger Puppenkiste das Meer simulierte.