Im Krankenhaus

Countess of Chester Hospital
Weitere Erfahrungen mit dem NHS

(Hier schreibt Klaus.) Am 15. Januar veröffentlichte Barbara in diesem Blog neben konkreter Erfahrung einer Zahnbehandlung einige Bemerkungen zum NHS (National Health Service), dem staatlichen, steuerfinanzierten Gesundheitssystem Großbritanniens (GB). Hat man ein Gesundheitsproblem, geht man in die örtliche Ambulanz (= Praxis), in der angestellte Ärzte und, für bestimmte Verrichtungen, nicht-ärztliche Kräfte arbeiten.

Wenn für GB von fast ausschließlich angestellten Ärzten die Rede ist, so sind diese nicht immer direkt vom NHS angestellt. Es ist auch möglich, dass eine örtliche NHS-Ambulanz wie die Praxis eines deutschen niedergelassenen Arztes als wirtschaftlich unabhängiges Unternehmen von einem Arzt geführt wird, der wiederum weitere Ärzte einstellt. Obwohl wirtschaftlich unabhängig, sind diese Ambulanzen durch Verträge an den NHS gebunden und damit in ihrer medizinischen Freiheit eingeschränkt. Der niedergelassene Arzt in Deutschland ist in seinem ärztlichen Handeln wesentlich freier, weil nur durch Ethos, Gesetz und Ärztekammer gebunden.

Deshalb ist es in Deutschland unmöglich, die freien Ärzte darauf zu verpflichten, entsprechend von Behandlungsrichtlinien zu agieren. (Behandlungsrichtlinien sind wissenschaftlich fundierte, auf Erfahrung beruhende Vorgaben für bestimmte Erkrankungen, wie Diagnostik und Therapie idealerweise zu verlaufen haben.) Dies scheint im britischen NHS-System gänzlich anders zu sein. Dieser Eindruck stellte sich bei mir ein, als ich jüngst mit einem ernsthaften Krankheitsverdacht die örtliche Ambulanz aufsuchte. Da die Tattenhaller Ambulanz wie wahrscheinlich die meisten kaum über Technik verfügt, wurde ich zur Ultraschalluntersuchung in die Krankenhaus-Ambulanz überwiesen, ins Countess of Chester Hospital. Während es also in Deutschland jedem niedergelassenem Arzt freisteht, seine Praxis mit Technik bis hin zu den teuersten Apparaturen wie CT-Scanner auszustatten, scheinen in GB diese Investitionen auf bestimmte Schwerpunkte konzentriert zu sein, was volkswirtschaftlich sicherlich sinnvoller ist (sofern diese Schwerpunkte die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen in der Lage sind).

Im Krankenhaus angekommen, wurde ich nicht etwa einer Ärztin oder einem Arzt vorgestellt, sondern einer für meine Symptomatik zuständigen „Krankenschwester“ (mit – wie sie sagte – neunjähriger Erfahrung auf diesem Gebiet). Nach der Ultraschalluntersuchung besprach diese „Krankenschwester“ das Ergebnis und das weitere diagnostische und therapeutische Vorgehen mit ihrem „Consultant“. Das ist jemand – Arzt oder nicht? – eine Verantwortungsstufe über ihr, die/der den Patienten gar nicht selbst sieht, sondern nur den Bericht erhält. Ihre/seine Anweisung war die Überweisung in eine andere Krankenhaus-Abteilung – immer noch im ambulanten Bereich. Auch hier wiederholte sich das Vorgehen: Untersuchung (diesmal EKG, Röntgen plus CT-Scan), Ergebnisbesprechung mit dem Consultant und anschließende stationäre Einweisung, nach der ich zum erstenmal in diesem Krankenhaus mit einem Arzt in Kontakt kam.

Chester Hospital, Haupteingang, Foto von Ian Cooper

Mein Eindruck ist: Es gibt (für die gängigen Krankheitsbilder?) im NHS klare Behandlungsrichtlinien, die streng befolgt werden – und zwar im Sinne eines Eskalations-Systems. (Eskalation: der jeweiligen Notwendigkeit angepasste allmähliche Steigerung der Mittel).

Je ernster die Diagnostikergebnisse auf den unteren Stufen der Eskalations“leiter“ ausfallen, umso höher gelangt der Patient auf dieser Leiter, bis er schließlich eine Stufe erreicht, auf der die unmittelbare ärztliche Behandlung beginnt. Ich finde dieses System äußerst vertrauenerweckend, weil es den Behandlungsprozess klaren Richtlinien folgend ausrichtet, weil jede und jeder in diesem Prozess genau weiß, was sie/er zu tun hat und wie es zu tun ist, und weil mir endlich dieses Verfahren ressourcensparend zu sein scheint.

Was nun die weitere Verwendung von Ressourcen betrifft, machte ich während meines stationären Aufenthalts Erfahrungen, die sich stark von in Deutschland gemachten abheben. Das Zahlenverhältnis Patienten zu Pflegekräften schien mir deutlich zugunsten der Anzahl von Pflegekräften auszufallen. Die Betreuungs“dichte“ war enorm. Kein Anzeichen von Pflegekräften, die keine Zeit für ihre Patienten haben. Dies gilt uneingeschränkt auch für die Nächte und die Wochenenden. (Apropos Wochenende: Obwohl kein Notfall mehr, wurde ich ein zweites Mal mit dem CT-Scanner untersucht – und zwar an einem Sonntag.) Die pflegerische Betreuung der Patienten schien mir noch deutlich vom Geiste einer Florence Nightingale beflügelt. Diese Reformatorin der britischen Krankenpflege ist besonders durch ihren Einsatz im Krimkrieg 1853 bis 1856 bekannt. Daran anknüpfend, sei mir als letzte Bemerkung gestattet, dass mich die räumliche Unterbringung im Countess of Chester Hospital eher an ein Militärlazarett erinnerte als an eine Klinik in Deutschland mit ihren abgeschlossenen Ein-, Zwei- oder höchstens Drei-Bett-Zimmern. Die „Zimmer“ mit 6 oder mehr Betten haben alle große Fenster zum Flur, sind also einsichtig. Um die einzelnen Betten kann man bei Bedarf Vorhänge ziehen. Wenn man Krankenhausserien aus den USA oder GB kennt, genauso sieht es aus.

Keine Gefahr also, ein britisches Krankenhaus mit einem Hotel zu verwechseln.