Mini, Super-Mini und ganz kleine Teile sowieso

Ein Winterausflug in eine kleine Welt

Es gibt diese Mini-Mundus Museen, in denen man auf den Eiffelturm in Lilliputgröße herabsehen kann oder locker mal über das Kolosseum steigt.

Bourton-on-the-Water in Gloucestershire dagegen bildet sich selbst ab und zwar seit 1940. Bourton-on-the-Water ist ein kleines Dorf am südlichen Rand der Cotswolds, einem beliebten Feriengebiet, das nicht nur aus grün-hügeliger Landschaft besteht, sondern deren Häuser aus dem warm-ockerfarbenem örtlichen Sandstein erbaut sind. Hier fühlt man sich sehr in England, so stellt man sich das vor, ein bisschen ländlich, ein bisschen hübsch. Auch wenn die meisten Leute in Großstädten leben und viele Einheimische hier neue Einheimische sind, also wohlhabende Rei-Gschmeckte, so ist es doch auch ein echter Teil des Landes.

Hereinspaziert: to the model village steht auf dem Schild über der Telefonzelle.

Der Wirt des Old New Inn hatte sich 1936 überlegt, sein Dorf, Bourton-on-the-Water (den Namen kann man nicht oft genug sagen, er ist so niedlich) hinter seinem Gasthof im Maßstab 1 zu 9 nachzubauen. Und da steht es heute noch.

Bonsaialleen
Modell im Modell. Natürlich darf hinter dem Modellwirtshaus (im Bild vorne das Dach davon) das Modelldorf nicht fehlen. Es geht so weit, dass sich (unter dem Plexiglas) in weiteres Modelldorf-des-Modelldorfes befindet.

Miniteile

Von unserem winterlichen Ausflug kamen wir nicht nur mit schönen Eindrücken zu rück, sondern mit einem Fund in einem der zahlreichen stöberbaren Antikscheunen. Ein Sperrholzpuzzle aus den 30iger Jahren von der Firma Victory.

Nur echt in der goldenen Schachtel.

Wir reden hier von rund 600 Teilen, die sehr, sagen wir mal, individuell ausgeschnitten sind. Mehrere mit Druck überzogene Bild-Platten wurden übereinandergelegt und mit elektrischen Laubsägen ausgeschnitten. Die Firma gibt es heute noch und sie stellen weiterhin, nun lasergeschnittene, Edelpuzzle auf Sperrholz her. Im Laufe der ca. 100 Jahre Firmengeschichte wurden Abertausende von Motiven benutzt und Puzzle von einigen Teilen für Kleinkinder bis zu über 1000 Teilen hergestellt.

Was ist mein Puzzle nun und, noch wichtiger, ist es vollständig? Beides konnte mir in dem Antikcenter nicht beantwortet werden. Das erste, weil die Verkäuferin es nicht nachgebaut hat – ich nehme an, sie hat es von einer Hausratsauflösung oder in einem Auktionsgruppenlos erstanden, und deshalb habe ich etwas handeln können. 30 Pfund anstatt 34. Das fand ich fair.

Das zweite, weil Victorypuzzles aus der Zeit absichtlich ohne eine Bildansicht verkauft wurden. Genauso, wie ich meine Puzzle will. Kein Schummeln möglich. Also ans Werk auf meiner rollbaren Puzzlematte.

Und voilá, das Endergebnis. Eine expressionistische französische Hafenszene. Es war eine Erleichterung, dahin zu kommen … komplett, kein Steinchen fehlt.

Doch das ist noch nicht das Ende der Besonderheiten. Victorypuzzles kommen immer mit Whimsies daher. Whimsy heißt Laune, aber eigentlich sind es vergnügliche Fallstricke: Teilchen, die geformt sind wie Figuren, aber inhaltlich nicht ins Bild passen.

Alle Whimsies habe ich herausgenommen.

Wer nun glaubt, die Whimsies hülfen beim puzzeln wegen ihrer untypischen Ränder- nicht wirklich. Es ist unglaublich, wie viel man nicht-sehen kann, sie machen das Ganze noch komplizierter.

Was ist nun das Motiv?

Hafen von Croisic (Freilandansicht) hat jemand mit Schreibmaschine auf dem Etikett eingetragen.

Croisic, so belehrt das Internet, ist ein Hafen in der Südbretagne. Die Küste ist ein beliebtes Ziel von Künstler:innen aus nah und fern. Nur nach viel Suchen habe ich das Original auf einer sepiafarbenen Postkarte gefunden und damit auch den Künstler:

Und damit dieses Bild.

Eine fast identische oder sogar identische Version kann man zur Zeit bei einem bretonischen Spezialhändler für 1600 Euro kaufen. Ist es dasselbe Bild? Das Puzzle und die Postkarte haben einen kleineren Bildausschnitt als dieses Original oben, dennoch müssten dort die beiden Boote rechts im Vordergrund zumindest angeschnitten zu sehen sein und auch die Figuren unter dem Baum. Vielleicht gab es mehrere Versionen, vielleicht wurde das Bild für den Druck retuschiert. Man findet nicht viel über Joseph Alphonse Chaleur, den Maler, nur dass er ein anerkannter Akademiemaler war, viele Häfen gemalt hat, auch Menschen, und erst 1965 verstorben ist.
Eine spannende Detekteiarbeit ist das gewesen, in deren Verlauf ich nebenbei erfahren von der Existenz einer englischen Puzzlegesellschaft erfahren habe. Das ist in England nicht wirklich verwunderlich;-)