Über die grüne Grenze

Aus der Reihe Reisen in Großbritannien. Heute: Ein Wochenende in Glasgow.

Wie oft würde man von einem deutschen Schaffner die verwunderte Antwort erhalten: „Aber wir haben doch nur 6 Minuten Verspätung“, wenn man nachfrägt, ob man sich wegen lediglich 10 Minuten Umsteigezeit Sorgen machen muss. Die deutschen SchaffnerInnen sind pessimistischer, was die Akkumulation von Verspätungen betrifft. Unser Schaffner behielt Recht, alles wurde gut, es blieb bei den 6 Minuten und wir sind pünktlich ans Ziel gekommen. Man sage noch einmal, die Britischen seien pessimistisch (okay, normalerweise sind sie es schon).

Nach vier Jahren England endlich einmal nach Schottland. Glasgow ist, mit 600.000 Einwohnenden, dort die zweitgrößte Stadt. Im Großraum leben sogar 2,8 Millionen Leute, ganz schön viele. Und auf dem Weg dahin leben viele viele Schafe.

Wir fahren fast vier Stunden nach Norden, das Licht verändert sich, die Sonne steht tiefer am Himmel und es noch länger hell als in Tattenhall. Dadurch verwirrt sich die Tageszeitorientierung, jedenfalls bei mir: so schräge Strahlen und doch noch hell/noch so früh/so spät?

   

Unser Hotel befindet sich direkt am stilvollen, über 100 Jahre alten Zentralbahnhof. Das Hotel ist einfach, doch mit Jugendstilelementen, preiswert, sauber und mit super Frühstück; die Bahnhofsumgebung ist einfach, ohne Jugendstilelemente, mehr mit Billigläden und Baustellen. Doch der Fluss (Clyde) ist nur 5 Minuten entfernt, und die stolze Innenstadt mit alter Börse, Hauptplatz, Einkaufspassagen (und ja, Jugendstilelementen) auch nur 5 Minuten.

Glasgow war einmal Britanniens zweitwichtigster Wirtschaftsstandort, nach London natürlich. Daher rühren die großen, wir würden sagen, Gründerzeitbauten. Seitdem ist weitergebaut worden, sieht im Mix gar nicht schlecht aus. Es ist deutlich eine Großstadt, unverstellt, schnörkellos, geschäftig.

Die Zierkirschen blühen, der Wind ist frisch, doch wir haben die Tage über 50 % Sonne. Unseren Besuch gehen wir mit der üblichen Mischung aus wenig Vorplanung, etwas Planung vor Ort und viel kümme-losse (Kölsch für Spontaneität) an. Da man eh nicht alles sehen kann, erwandern wir lieber und lassen auf uns zukommen.

Hat sich bewährt und macht nicht so viel Arbeit.


Samstag Morgen geht es in die Vorstadt. Wir statten einem Fernsehstar einen Besuch ab, der unschlagbaren Anita Manning. Als Pionierin ihrer Zunft hat sie sich mit ihrem in den 80ern gegründeten Auktionshaus in der bis dahin Männerdomäne durchgesetzt.

Bekannt ist sie als Expertin in Antiksendungen; dazu berät sie KandidatInnen in der beliebten Serie „Bargain Hunt“, was Schnäppchenjagd bedeutet. In der Sendung haben zwei Zweierteams eine Stunde Zeit, drei Gegenstände auf einem Antikmarkt zu finden. Diese später bei einer Auktion mit Gewinn (oder weniger Verlust als das andere Team, das ist der Regelfall, Gewinne sind selten) zu verkaufen, ist das Ziel des Spiels. Zu diesem Stöbern im Antikmarkt wird ihnen ein Experte oder eine Expertin zur Seite gestellt. Dem zuzusehen macht enormen Spaß und hat einen hohen Bildungswert, denn man erfährt viel über Porzellan, Holz oder Glas und Gegenstände, die mal zu etwas nutze waren, heute jedoch Rätsel aufgeben, wofür sie wohl gut gewesen sind. Weil die Welt sich so gewandelt hat.
Auktionsräume sind meist einfache Lagerhallen, vollgestopft mit Gütern, die billigen Sachen als gemischte Lose in Kartons, die besseren Sachen einzeln in Vitrinen. Vieles kommt sicher aus Haushaltsauflösungen. Die Kundschaft, sofern sie anwesend ist und nicht abwesend bietet, das geht schriftlich, am Internet oder am Telefon, sitzt manchmal sogar auf den Exponaten, die einem also unter dem Hintern weggekauft werden können. So eng kann es gehen. Mannings Haus ist keine Ausnahme, der Raum ist nur etwas netter als der Durchschnitt und hat eine Balkendecke. Anita selbst, man spricht hier Leute einfach mit Vornamen an, ist eine maximal 150m große Glasgowerin mit dem reizenden lokalen Akzent und mit charakteristischem nach außen gedrehtem schwarzen Pagenschnitt. Sie kommt immer besonders gut rüber. Wir sind beide Fans und schauen einfach mal bei einer der wöchentlichen Auktionen rein. Und haben Glück, sie ist nicht auf Reisen, sondern steht selbst hinter dem Pult. Es ist wirklich so vor dem Bildschirm, richtig nett. Leider sind bei den heute angebotenen Gegenständen keine dabei, auf die es sich für uns zu bieten lohnen würde (entweder zu groß oder zu teuer oder hässlich), deshalb sind wir wirklich nur zum Schauen hier und Autogrammjagende sind wir eh nicht. Und Selfi-Jagende schon gar nicht.

Also zurück in die Innenstadt. Wir gehen zu Fuß, dann sieht man noch mehr als mit dem Bus. Meist geht es am Fluß entlang, wir passieren Industriegebiete, neue Hafenwohngebiete (wie in Köln) und sehen uns das große Segelschiff (ein ehemaliges Frachtschiff, in Glasgow gebaut) am Riversidemuseum an.

Das Riversidemuseum. Dahinter sieht man die Mastspitzen des Segelschiffs.

Die Takelage.

Galionsfigur

Hier hat der Kapitän gebadet.

Das Riversidemuseum ist ein Transportmuseum. Da es keinen Eintritt kostet, werfen wir noch einen Blick hinein und kommen so schnell nicht wieder heraus, denn es ist sehr gut gemacht. Nicht nur bietet es Hunderte von originalen Autos, Motorrädern, Trambahnen, Eisenbahnen, Spielzeug und U-Bahnen, sondern auch Straßen, die den Zeiten, in denen die Fuhrwerke fuhrwerkten und die Straßenbahnen fuhren, nachempfunden sind. Es gibt epochentypische Geschäfte und U-Bahn-Eingängen. Besonders interessant ist eine „Fahrt“ in einer Glasgower U-Bahn anno 1940. Man setzt sich in den Originalwagen, in einer und im vorderen Wagenteil läuft ein Film ab, als würde man 1940 mitfahren. Die Leute in dem Film unterhalten sich über das Weltgeschehen (nun, es ist Krieg), die Wirtschaftslage und die Nachbarschaft und bei jeder Haltestelle, bei der die U-Bahn auch real ruckelt, steigen neue Menschen aus und ein und eine neue Unterhaltung beginnt.

Ein Tuk-Tuk oder so etwas haben sie auch.


Noch mehr Antikes: ich kaufe in einem Antikcenter eine einfache Lupe mit Metalleinfassung und Holzgriff, über 100 Jahre alt. Die 10 Pfund, die sie kostet, sind gut angelegt. a) hat eine alte Lupe mehr Charakter als ein neues Vergrößerungsglas mit Plastikgriff und b) wird es höchste Zeit, dass ich strategisch Sehhilfen im Haus plaziere, für das Kleingedruckte und Handarbeiten.


Der Sonntag sieht uns in einer katholischen Kirche eine gute Predigt anhören. Wir sprechen hinterher noch mit den Mönchen, die offenbar die Pfarrei leiten, über ihre Kongregation. Sie heißen Passionisten und sind auch in Deutschland aktiv.
Wir bleiben beim Thema der letzten Fragen und besuchen im Umkreis die anglikanische Kathedrale, den großen Friedhof, der tatsächlich Nekropole genannt wird, und das Museum für religiöse Fragen, wo sich eine komplett vorurteilsfreie Ausstellung mit Engeln in Kunst und populärer Vorstellung beschäftigt.

Die anglikanische Kathedrale ist verhältnismäßig klein (schwieriges Licht für einen Knipser übrigens). Schottland war zur Zeit von Heinrich VIII, Zeit der anglikanischen Abkehr von Rom, unabhängig und entschloss sich erst 1660 mittels einer Verabschiedung im Parlament für kirchliche Unabhängigkeit. Die traditionelle schottische Kirche ist presbyterianisch, also kalvinistisch. Anglikanismus kam erst später von Süden her dazu.

Dies ist wirklich eine TotenSTADT.

Blick über die Stadt der Lebenden.

Deutlich weniger Engel als auf anglikanischen Friedhöfen und diese sind spät und mehr Bewacher als Trauernde. Stattdessen mehr  keltische Knotenmuster.

Auf dem Rückweg noch in die moderne Kunsthalle und in das Leuchthaus, ein Architekturmuseum. Die Museen sind meistens frei zugänglich, das verringert die Hemmschwelle, einzutreten und wenn man etwas für sich findet, bleibt man halt etwas länger. Wenn das kein Programm ist!


Etwas fehlt noch:

Unser Hotel heißt Rennie Macintosh Hotel, und das mit Grund, denn jener ist ein berühmter Sohn der Stadt. Ich sage mal Art Nouveau, Jugendstil, so in der Art. Er hat die Sezessionisten in Wien beeinflusst und einige seiner Gebäude, er war von Haus aus Architekt, stehen in Schottland. Außer Häusern hat er Dutzende von Stühlen entworfen. Vieles ist wie strenger Jugendstil, gerade Linien gemischt mit etwas Floralität, geht schon Richtung Art Deco der 20er und 30er hin. Ziemlich maskulin. Den Montag morgen nutzen wir zu einem Spaziergang zu der einzigen Kirche, die er entworfen hat:

Kirche von Charles Rennie MacIntosh.

Detail in der Sakristeitür und Repliken von einigen seiner Stühle. Stilvoll auf jeden Fall, ob sie bequem sind, ist unbekannt.

 

 

 

Kontinentalverschiebung II

Es ist erstaunlich, wie persönliche Beziehungen, ich habe Familie hier und treffe weitere Familie, das Leben beeinflussen und den Horizont erweitern. Das schöne doch widersprüchliche Ägypten war nicht auf meiner Reisewunschliste und doch bin ich zum dritten Mal hier und freue mich darüber.

In einem Wadi nahe Dahab mit Blick über die Stadt. Mehr als 8000 Einwohnende.

Was gibt es Neues in den zwei Jahren seit meinem letzten Besuch? Die Währung wurde vom Dollar entkoppelt, was gleich zu einer 50-prozentigen Abwertung des ägyptischen Pfundes geführt hat. Oder so. Gut für Reisende, wenn sie sich denn trauen, das Land zu betreten, mit all der Terrorpresse. Mein Flieger war jedenfalls voll. Es gibt viele Wiederholungsreisende und die Preise sind keineswegs um 50 Prozent hochgegangen, es ist also preiswert bis billig. Dazu braucht es bei der Einreise, für den ganzen Südsinai, kein zahlungspflichtiges Visum mehr, man erhält einen Stempel in den Pass (das muss sein, einen Stempel wollen sie einem geben) und spart die 20 brit. Pfund, die es vorher gekostet hat. Mag jetzt wie eine Reklame für Alles-inklusive-Billigreisen klingen, doch so ist es halt. Dafür sind die gelangweilten Flughafenägypter noch gelangweilter bis zum Ranzigsein geworden. Na, sollen sie.

Nach dem angeblichen Abschuss (Beweise wie immer: nö, bringen wir nicht, müsst ihr uns halt glauben) der russischen Maschine vor zwei Jahren haben die Briten (die immer noch nicht direkt fliegen, deshalb fliege ich über Deutschland) am Flughafen Sicherheitsschulungen durchgeführt. Mit dem absurden Ergebnis, dass man auch beim Verlassen des Flughafens sein Gepäck durchleuchten lassen muss. Bisschen spät im Zweifelsfall.

Hinter dieser Schleuse gähnt die leere Empfangshalle. Von ganz ferne habe ich bereits Cousin und Onkel vor der Eingangstür stehen und winken sehen, normalerweise stehen sie an der Ankunftsschranke, jetzt dürfen Abholende nicht mehr das Gebäude betreten. Ich gehe auf sie zu, werde von Mike rufend jedoch dringend ersucht, die Grenze an der Tür nicht zu übertreten, denn dann kann ich nicht zurück. In der Halle befindet sich nämlich der wichtige Duty free Laden und in den gehe ich nun, Mikes mir zugerufene Alk-Bestellung abzuarbeiten.

Und draußen der wunderbare Sonnenschein. Mit dem bewährten beduinischen Fahrer Awad durch die rötlichen Berge nach Dahab. Die Wüste blüht verhalten, im März sind wir am Ende der, na ja, nennen wir es mal eine Regenzeit. Spart die Reise in den Amerikanischen Westen, genau wie dort sieht es hier aus. Am Wochenende gab es Sandsturm von Kairo bis zum Katharinenkloster, hier ist es nur relativ kühl, knapp 20 Grad, doch endlich kein Strumpfhosenwetter mehr. Die üblichen Checkpoints auf der Straße. Ein Stopp, um unzählige Wasserflaschen für die nächsten Tage zu kaufen, die Wüstenluft ist trocken, um viel Trinken kommt man nicht herum. Die Hauptstraße in Dahab, die vor 2 Jahren nur dazu vorbereitet gewesen war, ist nun schön geteert. Dafür ist die Parallelstraße, die man normalerweise zu Fuß in den Ort geht, im Umbruch: aufgerauht und abgefräst, ein Schotterparadies und sieht wirklich nach dritter Welt aus. Wer weiß, wann sie erneut geteert wird. Doch es ist sicher: sie wird geteert werden.

Etwas Meer: farbig, klar und angenehm temperiert.

Zum Wohnen gibt es nur die eine bestmögliche Adresse: das Dahab Paradise, die halbmondförmige Anlage am Ortsrand mit dem kreisrunden Pool in der Mitte. Die Angestellten, der Service wie immer ausgezeichnet, auch wenn er öfters in Anspruch genommen werden muss. Die touristische Krise scheint dazu zu führen, dass man nur repariert, wenn es kaputt geht. Keine meiner beiden Nachtischlampen funktioniert. Bevor ich jedoch tauschen oder nachfragen kann, komme ich am zweiten Tag in mein Zimmer zurück, es ist makellos geputzt, das Bett gemacht. Doch: im Bad ein Scherbenhaufen. Die Steinumrandung des Waschbeckens hat der Schwerkraft nachgegeben.

Unmöglich, dass dies nach dem Putzen geschehen ist, da meine paar Utensilien nicht im Staub liegen, sondern auf der Zimmerkommode. Mhm. Ich schnappe mir die Putzjungs (in Ägypten putzen meist Männer) und frage, was das denn werden solle. Sie sagen mir ganz munter, ja, sie würden gerade mein neues Zimmer für mich fertig machen, ich könne in 10 Minuten einziehen. Ich wechsle also ins Nachbarzimmer (bereits am nächsten Tag wird mein altes Bad renoviert). Da das neue Zimmer am Eck ist, kann ich vom Bett aus nicht mehr den Sonnenaufgang sehen, doch auf der Plusseite ist zu vermelden: eine der Nachtischlampen funktioniert. Na, geht doch.


Das Meer, vom dem das Hotel nur durch eine mager befahrene Straße getrennt ist, ist zum Baden nicht so geeignet, da viele Seeigel, Korallen etc. herumliegen, doch jeder kleine Spaziergang am Kiesstrand zeigt mal ein Einsiederkrebslein, mal Steinblöcke mit Abdrücken von alten Korallen und andere kleine Wunderdinge der Natur.

Gegenüber, am roten Meer, am Ostufer des Golfes von Aquaba, die Saudiarabischen Berge. Manchmal unsichtbar, manchmal glasklar. Sie sind größer als ich sie erinnere und weiter weg als sie aussehen. Man wähnt, einen km rudern würde einen ans Ziel bringen, doch es sind mindestens 5 km. Abends Lichter eines Ortes mit ab- und zuführender Straßenbeleuchtung. Genug Öl zum Strahlen haben sie ja da drüben, aber wer wohnt da? Saudiarabien wirkt entfernt wie der Mond.

An unserem letzten Abend haben die Einheimischen vor dem Hotel mit einem Treibnetz gefischt. Dazu sind Männer in zwei Gruppen getrennt mit Netzen ins Wasser, haben sich weiter draußen in der Mitte getroffen und alle Fische, die sich innerhalb des Netzes befanden, waren die Beute. Alle Fische? Nein, nicht alle, denn eine nicht unerhebliche Anzahl hat gezeigt, dass sie auch fliegen können, wenn es sein muss. Sie sind mit großem Schwung über die Netzkante gesprungen und ins offene rote Meer abgetaucht.


Viel Familienzeit (Klönen, gemeinsam essen, was unternehmen), den Nachwuchs (13 Monate) zu bewundern und die Sonne genießen. Gegrillte Ziege im Wadi, ein Kamelritt und eine Bootsfahrt zum Naturpark Ras Abu Galum (Schnorcheln erlaubt) sind auch noch drin. Und Schwimmen im Pool und Gewürze kaufen. Und lecker Essen vom Frühstück an, über Brezn und Käsekuchen in Ralphs deutscher Bäckerei bis zum internationalen Abendessen im Hotel oder in einem der Restaurants in Dahab. Einige von uns haben sogar zum ersten Mal thailändisch gegessen! Und es hat allen geschmeckt.

Mit der motorisierten Nussschale in den Naturpark. Die Hinfahrt war gegen Wind und Wellen wie ein Betonritt, die Rückfahrt hatte die Rivieraqualität: Sonne und Meer genießen und dabei noch cool ausschauen.

Ein Stilleben am Strand. Alles ist vergänglich.

Die meisten Tage ist der Wind schwach, so ist es nur mit leisem Bedauern, als ich in der Blauen Lagune doch noch Kitesurfer sehe. Dieses Mal, bei 7 Tagen Aufenthalt, ist Kiten nicht geplant.


Irgendwann hat auch eine schöne Woche Ende, ich bin nach Düsseldorf zurück, wieder alleine unterwegs. Am Flughafenbahnhoffahrkartenautomaten (solch ein sinniges Wort machen uns nicht viele Sprachen nach) spricht mich ein Chinese (oder Koreaner) auf Deutsch an. Wo ich hinwolle. Nach Bonn. Ich könne auf seinem 5er Ticket mitfahren, er habe schon einen Frau und einen Mann zusammen (das hat er so gesagt). Er begleitet mich wie eine Glucke auf den Bahnsteig, dort wartet ein peruanisch-deutsches Paar, das gerade aus Peru zurückkommt. Es folgt noch eine Deutsche, die morgens noch in Lappland Langlaufen gewesen ist. Ob der Chinese seine Fahrten so finanziert oder sein Leben, ist natürlich unklar, jedenfalls macht er uns einen guten Preis. Und ist unheimlich nikotinabhängig. Nicht nur raucht er auf dem Bahnsteig, sondern auch nach einem Besuch der Zugtoilette (er hat sich abgemeldet und auch die Fahrkarte bei uns gelassen) dünstet er Qualm wie nach stundenlangen Kneipenbesuch – vor den Rauchverboten – aus. Ein echtes Räuchermännchen.

In Bonn 20 Grad, Museum (Katharina Sieverding Retrospektive, in der die Originalstimme von Berthold Brecht zu hören ist), ein laaanger Weg entlang der Rheinpromenade, ein Muss für jeden Bonnbesuch, gefolgt von einem Capucchino (mittelmäßig) mit belegtem Laugenbrötchen (hervorragend) in der Stadtbäckerei Rott am Münsterplatz. Immer wieder schön.

Cin Cin und schon heute Abend wieder Cheers.

Kontinentalverschiebung I

Ein bisschen absurd, doch sehr 21. Jahrhundert: ich reise nach Deutschland, um alte FreundInnen zu treffen und nach Ägypten, um meine (deutsche) Familie zu treffen.

Doch von Anfang an:

Großbritannien nennt das Festland gerne den Kontinent.

Geologisch gehört die Insel jedoch selbst eindeutig und fest zur europäischen Kontinentalplatte. Vermutlich ist ein Gletscher daran schuld, dass das Land seit langer Zeit durch den Ärmelkanal von Frankreich und Belgien durch Wasser abgetrennt ist. Die geologischen Schichten sind identisch, es gibt halt diese nasse Senke zwischen großem Teil und kleinem Teil.

Das hindert in diesen traurigen Tagen die traurige britische Politik nicht, sich von der europäischen Union trennen zu wollen, da haben andere Interessen die Oberhand gewonnen. Ich reise auf „den Kontinent“ und dann gleich noch auf einen anderen Kontinent und werde überall, von allen Nationalitäten, auf diese Trennung angesprochen. Ich treffe niemanden, auch keine BritInnen, die dafür gewesen wären. Es scheinen sich verschiedene Wahrnehmungswelten über Europa aufgetan zu haben, Nachbarn leben nicht einmal unbedingt auf dem selben Planeten geschweige den Kontinent – in ihren Köpfen.

So ist jede Reise auch ein kleines, klitzekleines Politikum, ein Zeichen gegen Grenzen.


Folgendes gibt es von den Fluggesellschaften zu berichten: auf meiner Reise zuerst nach nach Bonn/ Köln, später von Düsseldorf weiter nach Sharm-el-Sheik und zurück habe ich vier Flieger benutzt, als normale Holzklassenpassagierin, und immer etwas zu essen und trinken bekommen. Die Renaissance des ummö-sonstigen Bordsnacks ist angebrochen oder scheint angebrochen zu sein! Das erweckt ein bisschen nostalgische Gefühle und die langweiligen (langweilig beim Fliegen ist gut, denn es bedeutet Nicht Abgestürzt) Flüge werden aufgelockert.

Auf der Kehrseite der Fliegerei kommt hier der maximale Toptipp: nie mit Rock oder Hose mit Nieten im Bund (wie die Nieten eines Druckknopfwickelrocks, den ich trug) durch die Flughafenkontrolle wollen. Das könnte dauern. In Manchester, ein notorisch sehr gründlicher Filz-Ort, ging es bis zur Abtastung hinter einem Privatvorhang. Alles sehr nett und freundlich und ein Kompliment habe ich von den Damen für meinen Rock auch noch erhalten. Dennoch habe ich für die restlichen Flüge ein komplett metallfreies Kleid getragen. So bestimmt die Sicherheitslage die freie Kleiderwahl. Mein Dank geht an die jahrzehntelange Geschichte des Flugzeugterrors!

Nach drei Jahren wieder Bonn, alles sehr vertraut, aber durch einen feinen Schleier. Zu meinen Besuchen und Besorgungen nutze ich Bus, Auto, Beine und Fahrrad. Ich beginne jeden Weg automatisch, muss dann innehalten: wie ging das noch, wie war der optimale Schleichweg, wie komme ich am günstigsten zu Geschäft A, Adresse B. Mein Körper ist noch richtig programmiert, es klappt.

Wer erkennt’s? In Goldschrift ist zu lesen: Deutscher Bundestag. Es ist das Wasserwerk, flankiert von zwei Wächter-Magnolien. Sternmagnolien sind nicht sehr wehrhafte Bäume, nicht abschreckend, so ein schönes Symbol für einen demokratischen Ort.

Die Stadt steht noch, es wird viel gebaut. Die neue und moderne Bücherei ist gelungen. Das Ungetüm gegenüber dem Hauptbahnhof, dieser Schandfleck, wird abgerissen und zeigt bereits das Hintere seiner Fassaden – noch scheußlicher als die alte Fassade. Man hört jedoch, der Ersatz wird auch nur ein eckiger Konsumtempel werden, das verheißt noch nichts Verheißungsvolles.


Vorschau: zu diesem Licht, diesem Wasser will ich hin. Im Hintergrund die saudischen Berge auf der drübigen Seite des Roten Meeres, Abschnitt Golf von Akaba. Sie wirken oft wie nur einen km entfernt, es dürften aber mindestens fünf sein.


Leider habe ich keine Zeit, der Sprengung des Bonn-Centers von 1969 und die rheinische Antwort zum Europa-Center in Berlin, beizuwohnen. Sie verlief reibungslos, wie dem Internet zu entnehmen ist. Ich befand mich zu dem Zeitpunkt in einem Gottesdienst etwa 4 km entfernt, dort war nichts von dem Knall zu vernehmen und das lag sicher nicht an der Orgelmusik. Der für mich wichtigste Teil des Centers, das Kabarett Pantheon, hat auf der anderen Rheinseite, auf der schäl Sick, ein, wie man hört, schönes Zuhause gefunden. Schade, dass keine Zeit ist, eine Veranstaltung zu besuchen.

Als ich mit dem Flughafenbus zum ersten Mal über den Rhein komme, erschrecke ich: Hochwasser! Keine Spur, eher Niedrigwasser, wie sich zeigt. Ich bin solche enormen Flussbreiten einfach nicht mehr gewöhnt.

Wo ist das Ichiban Nudelrestaurant geblieben? Der Laden in der Rathausgasse steht leer und sieht staubig aus (dem Internet zu entnehmen: nur umgezogen. Uff). Auch das First Flush, das edle Teehaus, in dem wir beschlossen haben, auszuwandern, hat neuen Namen und neue Eigentümer. Das Gehirn schaut und gleicht ab mit dem Gespeicherten und dem, was aktuell zu sehen ist.

Für die berühmte rosa Kirschbaumblüte in der Altstadt ist noch etwas zu früh, immerhin beginnen die weißen Bäume zu blühen:

Ein paar Tage mit vielen Menschen verbringen, eine sehr gute Zeit. Aufgrund einer Trauerfeier im nahen Umkreis auch die richtige Zeit, wieder ein paar Meter Lebens-Wegs gemeinsam zu gehen.

Und da ist noch ein Höhepunkt: mein alter Chor, die Rhubarbs, singen wieder. Just an diesem Wochenende. Schade, dass ich nicht mit auf der Bühne stehen kann. Selbst wenn ich könnte, ich müsste mir die alten Liedtexte wieder draufschaufeln und die neuen Lieder: sind anspruchsvoll. Schön war’s und bald (4.32 ab Hbf Bonn) geht es weiter.