Die Szenerie rundherum scheint das Gegenteil zu beweisen, doch eine große Explosion bereitet sich unterirdisch längst vor – die sprießende Explosion. Man darf sich von den kahlen Ästen und dem schütteren Grün am am Erdboden nicht täuschen lassen, sonst wird man kalt erwischt und muss alles auf einmal aufgärtnern.
Infolgedessen gibt es in Carols Gärtnerei jede Menge zu tun und zur Belohnung für säen, pflanzen und abräumen blühen die ersten Anemonen (vorne im Bild) im Folienhaus und draußen verschiedene Christrosen, die es sich lohnt, im Detail zu betrachten. Der harte Winter hat das Unkraut klein gehalten, doch die Beete sind nicht weniger geworden …
Nach wie vor, England ist Gartenland. Man sieht keinesfalls überall aufregende oder zumindest bemühte Gärten, doch versteckte Schönheiten lassen sich an vielen Orten finden.
Um über Winter nicht zu verkümmern oder auch sich weiterzubilden, gibt es die Vorträge der Tattenhall Gartengesellschaft, deren Mitglied ich bin. Der Verein richtet nicht nur die fabelhafte Tattenhallschau aus, die alles prämiert, von 5 identischen Tomaten zu dem besten Foto, das ein Mensch unter 10 Jahren geschossen hat, bis zu Kunst oder dem perfekten Miniaturgesteck. Nein, auch Vorträge und kleine Ausflüge zu Gärten sind bei uns im Programm. Ich habe keine weitere Funktion als Veranstaltungen mit Dreizeilern in freien Magazinen zu bewerben. Und Veranstaltungen zu besuchen.
Manchmal können die Vorträge schon sehr speziell sein, Sukkulente z.B. oder Dahlien oder Orchideen im heimischen Garten. Bei meinem kleinen Mischgarten und ohne Glashaus alles nix. Auch gestern war ein Vortrag angekündigt, der ehrlich gesagt, nicht so prickelnd klang. Geschichte und aktuelle neue Gärten in Cheshire im Programm des nationalen Gartenplans (national garden scheme). Gähn.
Aber da es nur 50 Meter bis zum Veranstaltungsort sind, bin ich hingedackelt. Und dann war es doch sehr englisch.
Logo des Vereins, ein geöffnetes Gartentor.
Der Verein ermutigt Leute, ihre Privatgärten an einem oder mehreren Tagen im Jahr für die Öffentlichkeit freizugeben. Groß oder Klein ist egal, irgendwie muss er halt interessant sein. Das Eintrittsgeld wird dann gespendet. So viel wissen irgendwie alle, die solche Gärten besuchen, auch ich. Die Gärten sind zahlreich, das so genannte „Yellow Book“, das Gelbe Buch zeigt alle Details. In Cheshire alleine sind über 60 Gärten im Jahr zu besichtigen.
Ein populäre Sache, befriedigt Gartenliebhabende, Neugierige und Leute, die nicht wissen, was sie an dem Nachmittag sonst anstellen sollen. Auch in Tattenhall liegt so ein Garten, doch selbst die Ausrichter (die Vorsitzende unserer Gartengesellschaft) wusste bislang nicht, wie genau ihr erwirtschaftetes Geld verwendet wird …
Ca. 1860 hat ein Wohltäter in Liverpool Krankenschwestern in arme Bezirke geschickt, um denen zu helfen, die sich keinen Arzt leisten konnten oder um Familien zu unterstützen. Das was heute noch Gemeindeschwestern oder die Familienhilfe tut. Schnell stellte sich heraus, dass die Armen zahlreich waren und organisatorische Strukturen und der Aufbau einer Organisation sinnvoll war. Mehrere Initiativen haben sich großbritannienweit zusammengetan und eine Schwesternschule gegründet, eine Einrichtung, die heute noch Pflege-Forschung betreibt, wenn die Gemeindeschwestern selbst auch seit 1947 vom nationalen Gesundheitsdienst bezahlt werden.
Dieser neue Förderverein hat sich durch Hilfe vieler Mäzene gut finanziert, bis dann 1927 jemand auf die Idee kam, Geld dadurch einzufahren, dass Privatleute ihre Gärten für die Öffentlichkeit zugänglich machten. Über 600 Gärten haben in diesem ersten Jahr mitgemacht. Meist waren es Herrenhäuser mit riesigen Gärten, die der normale Mensch zum ersten Mal sehen konnte. Die wohlhabenden Patrone und vor allem Patroninnen müssen mehr oder minder ihre Adressbücher durchtelefoniert haben, um ihre Kumpels aus den oberen Zehntausend zu animieren, mitzumachen.
Die Aktion war ein Bombenerfolg und seitdem werden Gärten geöffnet. Da, wie gesagt, seit 1947 die Schwestern- und Pflegerausbildung staatlich organisiert ist, benötigt das ursprüngliche Lehrinstitut nicht mehr die Menge Geld, die erwirtschaftet wird, und Stück für Stück wurden Krebshilfen und andere medizinische Organisationen unterstützt. 1980 wurde dieser nationale Gartenplan dann ein eigener Verein.
Es handelt sich also um einen Verein, der nur dazu da ist, Geld für andere Vereine aufzutreiben.
Wenn das nicht sehr englisch ist!
Doch es gibt doch noch eine andere Verbindugen. Garten und Medizin mag man nicht sofort im Zusammenhang sehen, doch ist man im Verein stolz darauf, durch die Gartenbesuche die Leute rauszubringen, zu animieren, selbst zu gärtnern und auch die Eigentümer der Gärten sind natürlich motiviert, ihren Garten im bestmöglichen Licht zu präsentieren. Man leistet also auch seinen Beitrag zur allgemeinen Gesundheit. So schließt sich der Kreis, eine zufällig wirkende Spendenidee hat mit dem Spendenziel zu tun: für Wohlbefinden und Gesundheit zu sorgen.