Wie man weiß, wird in England nichts weggeworfen. Auch vom Abriss großer zugiger Herrenhäuser wurde ab den 50er Jahren weitesgehend Abstand genommen. Stattdessen kann man diese Villen besichtigen. So auch Saltram House innerhalb des Stadtgebietes von Plymouth, umgeben von einem schönen Garten, Weiden, Wäldern, allerdings heutzutage in Hörweite von zwei Bundesstraßen. Saltram ist ein Naherholungsgebiet, das täglich Hunderte von Menschen anzieht – einige davon besuchen das Haus selbst, das die Originalmöblierung der ehemaligen Eigentümer beinhaltet und auch deren Bibliothek. Es war eine Nutzbibliothek für Bücher, die sie meist auch interessiert haben, keine reine Schau- oder Protzbibliothek. Aber hübsch eingerichtet ist sie schon.
Alle die 4000 Bücher von ca. 1750 bis 1900 müssen gepflegt werden. Es ist staubig, es kann Schimmel geben oder Insektenfraß. Auch das Silberfischchen mampft sich bei genügend hoher Luftfeuchtigkeit gerne durch alte Seiten.
Da komme ich ins Spiel. Diese alten Häuser benötigen viel Pflege, es gibt Personal, aber noch mehr Freiwillige, die im Garten helfen, im Empfang oder in der Konservierung. Als „Belohnung“ gibt es Tee und Kekse und freien Eintritt in alle Hunderte Besitzungen der National Trust Stiftung. Ich habe mich als Buchputzerin gemeldet und darf nun in diesem schönen (und wegen der Bücher angenehm temperierten) Raum arbeiten.
Zuerst werden die Bücher mit einer Taschenlampe auf Schimmel untersucht. Wenn sie nur staubig sind, werden sie von außen und auf den Umschlaginnenseiten mit Ponyhaarpinseln abgestaubt. Der Museumsstaubsauger mit der Mullbinde am Rüssel fängt den Staub ein.
Mit Schimmel befallene Bücher werden in ähnlicher Weise, aber mit Maske, Handschuhen und besonderen Pinseln und einem Schimmelstaubsauger gepflegt. Alle Auffälligkeiten und Abweichungen von der letzten Reinigung werden in Listen notiert.
Die Bibliothek ist nicht nach Alphabet oder thematisch sortiert, sondern jedes Regal hat einen Buchstaben, jedes Regalbrett eine Zahl und jedes Buch in einem Brett erhält die Zahl in der Reihe. Dieses System wurde vor langer Zeit mit Bleistift in die Bücher eingetragen und ist sehr effektiv. Ein Band könnte also die Nummer J/3/15 haben, Regal J, drittes Brett von oben, das fünfzehnte in der Reihe, es ist eindeutig zuzuordnen. Die Regale werden ähnlich wie die Bücher mit Pinseln und Staubsaugern gereinigt. Wenn Schimmel im Spiel ist, kommt noch Alkohol hinzu.
Lesestoff der gehobenen Gesellschaft
Es gibt viel Mehrbändiges abzustauben, etwa die Geschichte aller englischen Grafschaften oder Gedichte aus den letzten Jahrhunderten. Theaterstücke oder die Gesamtwerke von Jonathan Swift oder Horaz. Es gibt Almanache (Kalenderbüchlein) und Predigten, die sich mit Gottesbeweisen befassen. Es gibt viele Bände von Briefen, z.B. von einer Französin mit Voltaire oder einem Lord mit seinem Sohn, der sich auf der Grande Tour, der Bildungsreise der jungen Männer, in Europa befindet. Der Vater schickt ihm sogar Hausaufgaben: Er erzählt auf Französisch eine Geschichte aus der Römerzeit und der Sohn soll sie in seinem Antwortbrief übersetzen. Überhaupt, die Klassiker. Die sind alle vorhanden. Auf Englisch oder im Lateinischen Original. Die Griechen sind übersetzt, doch man war mindestens dreisprachig. Englisch, Französisch und Latein.
Natürlich durfte Shakespeare nicht fehlen.
Das Geschäft mit Büchern florierte, nachdem immer mehr Menschen Lesen konnten. Dennoch war es übliche Geschäftspraxis, zuerst für Kundschaft zu werben und dann mit dem vorher eingenommenen Geld entsprechende Auflagen zu drucken. So auch mit dem obigen Shakespeare. Ungewöhnlich hier, dass die Erstbeziehenen im Buch genannt werden – namentlich. Und auch die Namen etlicher Buchhandlungen, die vorbestellt hatten, sind vermerkt.
Auf der linken Liste kann man sehen, wie wichtig Titel waren. Wenn man nicht gerade ein Marquis oder ein Bischof war (rechte Spalte oben), dann wenigstens ein Esquire (Landjunker), ein Hochwohlgeboren oder eine Lady.
Auf dem rechten Bild sind Haydon und Sohn vermerkt, Buchhändler in Plymouth, die drei Kopien vorbestellt hatten. Man kann davon ausgehen, dass eine dieser drei Kopien genau dieses Exemplar ist.
Es sind diese Kleinigkeiten wie die Vorstellung, dass ein Diener der Plymouther Buchhandlung an einem Tag im Jahr 1790 die Shakespearebände geliefert hat, oder wurden sie sogar abgeholt und bei der Gelegenheit noch ein paar andere Bücher bei Haydon und Sohn erworben? Oder es sind handschriftliche Anmerkungen, die diese Bibliothek lebendig machen. Beim Stöbern fällt auf, wie vieles auch heute noch gut zu lesen ist oder was früher für Bildung oder auch als Unterhaltung geschätzt wurde. Die Abende waren lang …