Antn TV

Nachdem es in Bayern in bestimmten Gegenden das IGEL-TV gibt (Igelfutter in Sichtweite eines Fensters rausstellen und bei Dämmerung auf die Igel warten. Wenn dann ein oder mehrere Igel auftauchen, beobachten groß und klein mit großem Vergnügen die Igel beim Schnaufen = Fauchen und Fressen.), nun auch in Tattenhall echte Tiere im Garten. Es sind Antn.

Sie waren einfach da. Antn, das sind auf Hochdeutsch Enten, Englisch Ducks (daks). Gleicher Name wie ein gewisser Dagobert Duck aus Enten !! hausen. Damals wussten wir nicht einmal, dass Duck (wir sagten natürlich auf deutsche Weise duk) Ente auf Englisch heißt.

Eine Mutter mit 9 Küken (Piwal auf Bayrisch) kam durch irgendeine Lücke, den eigentlich ist der Garten vollständig von Zäunen und Gebäuden eingekreist, es gibt nicht einmal eine Gartentür ins Freie.

Einen ganzen Tag lang führte Mama Ente ihre Schar von einer Ecke des kleinen Gartens in die andere. Und das geht so: die Piwal zerstreuen sich und üben Fressen und Überleben. Alle 10 Minuten ruft die Ente und alle Neune kuscheln sich unter die Mutter, auch die letzten, frechsten, die aberteuerlustigsten, die noch ein paar Sekunden weiter die Welt erkunden. Unter der Mutter ist nichts mehr zu sehen, kein Schwänzchen. Nach einigen Minuten Nickerchen tauchen die Kleinen wieder auf und folgen ins nächste Fressrevier.

Sehr aufregend, allerdings auch: hoffentlich finden sie wieder von alleine hinaus (taten sie). Sie waren nicht scheu und als ich die Garagenseitentür offenließ, sind sie alle hineingewatschelt. Dort konnten sie nicht bleiben. Ich begleitete sie hinaus und wurde für meine Mühe von Mama angefaucht. Sie streckt dazu ihren Hals seitwärts und zischt. Nicht so furchteinflößend wie eine Gans, doch im selben Stil. Zum Dank ließ sie ein Häufchen Entenkacke in der Garage zurück.

In der Nähe gibt es Weiher und einen Bach. Sie haben sicher dorthin gefunden.

Voller Gedanken

Klaus philosphiert:

Bei der Geburt eines Briten (gemeint immer auch die Britin) war ich noch nie anwesend. Ich weiß trotzdem, wie’s zugeht. Den Klapps auf den Hintern, um die Lungenatmung zu aktivieren, beantwortet der Brite nicht mit einem Schrei, sondern mit einem trockenen, anscheinend bereits eingeübten „Sorry!“. Er hat dieses Wort, das ihn sein ganzes Leben begleiten wird, nicht etwa mit der Muttermilch eingesogen – wie denn auch? -, sondern bereits durch die Plazenta. Meint er etwa „Entschuldigen Sie, das ich geboren bin“? Mitnichten. Vielmehr schaut er sich im Kreißsaal um, bemerkt, dass er in ein kinderreiches Land geboren wurde, und schließt messerscharf wie auch korrekt: „Aha, hier geht’s familienfreundlich zu. Ich werde in einer Horde leben, wo es eben unausweichlich ist, dass man sich gegenseitig auf die Füße tritt. Ein ‚Sorry“ kann da nie schaden.“

Der Brite also kommt mit seinem wichtigsten Überlebensinstrument auf die Welt. Es hilft ja auch anderswo, wo es ebenfalls tausendfach benötigt wird. Auf Schritt und Tritt hört oder liest man: „ …, sorry for any inconvenience.“ Wörtlich: „Entschuldigen Sie eventuelle Unannehmlichkeiten.“ Vorangegangen ist die Information, dass ein Gerät, eine Website oder Ähnliches nicht funktioniert oder der Laden, der eigentlich geöffnet sein sollte, geschlossen ist. Es mag ja Völker geben, die sich in solchen Fällen ebenfalls entschuldigen. Doch dort kann man den Eindruck haben, dem Bedauern folge eine Aktivität, die Ursache der Unannehmlichkeit zu beheben. Nicht so der Brite! Ihm dient das „Sorry“ als Fundament seines entspannten Daseins.

Die zweite Perle im Wortschatz des Briten ist – auch bereits im Geburtsvorgang routiniert vorgetragen – der Ausruf „Amazing“. Das heißt soviel wie „(Das ist) erstaunlich, unglaublich“ und wird stets in zustimmender Bedeutung gebraucht. Es ist allerdings noch nicht letztlich geklärt, ob die bewundernde Zustimmung dem gerade wahrgenommenen Objekt gilt oder doch eher dem Ausrufer selbst.

In jüngster Vergangenheit war ich mehrmals Zeuge von Ereignissen, die den Schluss nahelegen, das Zweitgenannte sei zutreffend. Allerdings war es im Falle der „Queen’s Speech“ (= Verlesung der Regierungserklärung der neuen alten Premierministerin May durch die Königin) und der Veranstaltung „Royal Ascot“ (Pferderennen) nur eine Zeugenschaft via TV. Zur Live-Teilnahme an ersterem Ereignis bin ich einfach nicht prominent genug. Für den Eintritt zum zweiten fehlt es mir am nötigen Kleingeld und dem passenden Outfit: Alle Herren mit Zylinder. Und die Damen? Ja, mein Gott, wer schaut denn auf die armen Pferde, wenn jeden weiblichen Kopf eine – na was denn? – erstaunliche Hutkreation ziert? Amazing. Bleibt am Ende nur die Frage, wer in Ascot mehr Geld verdient: ein Siegerpferd (bis zu einer Million Pfund Sterling), die Buch- oder die Hutmacher?

Was nun die Rede der Königin betrifft, ist es zunächst einmal – nein, nicht amazing, sondern: – befremdlich, dass diese arme Frau gezwungen wird, in aller Öffentlichkeit einen Text vorzutragen, dessen Inhalt sie möglicherweise für Blech hält. (Als Kind, auch als diese Dame Bonn besuchte und ich ihr, der damals jung-Schönen, huldigen durfte, schulfrei den Union Jack schwenkend, da hatte ich eine andere Vorstellung vom Königin-sein.) Wahrscheinlich fragte sich niemand der vielen involvierten Zeremonienmeister, was die Königin von Frau Mays Regierungserklärung hält. Sie waren zu sehr damit beschäftigt, den tiefen Ernst der Angelegenheit zu präsentieren. Man kann ja nicht einfach die Thron-Insignien – etwa die Krone (die die Königin übrigens nicht aufsetzt, sondern lediglich neben sich plazieren lässt) – untern Arm klemmen und damit ins Oberhaus (House of Lords) spazieren, wo die Erklärung verlesen wurde. Man hält sie würdevoll vor sich hin. Dabei geht man nicht. Man schreitet. Doch das Schreiten will nicht so recht gelingen. Es ist nur ein gebremstes, ja gehemmtes, äußerst steifes Sich-vorwärtsbewegen. Es ist unglaublich – aber diesmal im Sinne von „unvorstellbar“ (not amazing, but unimaginable) –, dass ein Lord der Königin die Krone tanzend bringt – wie vor etwa 3000 Jahren König David tanzte, als er die Bundeslade heimbrachte, immerhin mehr als ein königliches Insigne, nämlich ein göttliches. Das war übrigens in Palästina, wo später unter britischem Protektorat gar nicht mehr so lustig getanzt wurde.

Es hat ja etwas Sympathie-heischendes, wenn es den Briten nicht wirklich überzeugend gelingt, den Ernst einer Zeremonie anders als verkrampft darzustellen. Vielleicht ist der Wunsch nach der Entspanntheit des „Sorry for any inconvenience“ selbst bis in höchste Kreise vorgedrungen (offensichtlich ja: „Brexit, klar, zieh’n wir durch, sorry for any inconvenience“). Im Volk jedenfalls ist er unübersehbar. So etwa bei einem weiteren Ereignis, diesmal einem, bei dem ich live zugegen war: dem „Bolesworth International“.

Bolesworth ist das Schloss, das über unserm Dorf Tattenhall thront und von der Familie Barbour bewohnt wird, die wiederum das Land um Tattenhall herum beherrscht. Allein in Form von allgegenwärtigen Fahrzeugen mit der Aufschrift „Bolesworth“ wird der Untertan stetig an die Präsenz des Landeigners erinnert. In einem jedoch unterscheidet sich Bolesworth von Kafkas Schloss: Bolesworth bietet Brot und Spiele für das Volk. Eines dieser Spiele ist eben „Bolesworth International“, ein sich über vier Tage erstreckendes Springreit-Turnier im Schlossareal mit preisreduziertem Zutritt für die unmittelbaren Untertanen, die im Blickfeld des Schlosses leben – also auch für mich.

Auf solcherart Festen wird dann offensichtlich, was der Brite schon vom ersten Moment außerhalb des Mutterleibs weiß: Es wird ein Leben in der Horde. Besonders an Wochenenden sieht man den Auftritt unzähliger Drei-Generationen-Horden. Im Falle „Bolesworth International“ lagerten sie auf ausgebreiteten Decken picknickend rund um die beiden Reitparcours und pflegten dort das entspannte Leben. Das fand überall auf dem Gelände statt: unzählige Attraktionen für Kinder, eine Reptilien-Schau, Wassersport auf dem Schlossgraben und ein paar durch die Luft fliegende Motorräder, um nur einiges zu nennen.

Überall? Nein. Auf zwei Inseln innerhalb des Halligalli war Schluss mit Lustig. Hier sah man Reiter und Pferd in voll angespannter Konzentration bei dem Versuch, Hindernisse erfolgreich zu überspringen. Ich habe es stundenlang genossen, die Kommunikation zwischen Reiter und Pferd zu beobachten. Ganz nebenbei war dies auch das eindrucksvolle (amazing) Erlebnis, dem Briten dabei zuzuschauen, wenn er die Fährnisse des Lebens wirklich ernst nimmt, ohne sich auf sein „Sorry“ zu verlassen: nämlich im Sport.

Ein Pferd steht wieder auf und ein Pfingstfeuer ganz eigener Art

Das Pferd. Freitag vor Pfingsten besuchte ich (Klaus, heute mal wieder Gastautor auf diesem Blog) das Halbfinale eines Poloturniers im Innenraum der Pferderennbahn Chester. Eintritt frei. Es ist faszinierend, wie plötzlich aus einem Pferde/Reiter-Pulk der Ball – sagen wir mal – 50 Meter in Richtung auf eines der beiden Tore geschossen wird. Dann lösen sich zwei Reiter, ein Angreifer und ein Verteidiger aus dem Pulk und rasen dem Ball hinterher, während die übrigen Spieler im Abstand folgen. Es ist natürlich spannend, wer von beiden den Ball zuerst erreicht und ob er ihn mit seinem Schläger gut trifft. Dabei hat es der Angreifer leichter, weil er den Ball in Laufrichtung, also auf das Tor zu, schlägt. Der Verteidiger treibt sein Pferd zwar ebenfalls auf dieses Tor zu, muss aber gegen die Laufrichtung den Ball nach hinten schlagen (oder ins Aus). Diese Duelle anzuschauen macht Freude.

An diesem Tag hatte es in Chester geregnet. Das Geläuf war glitschig. So kam es zum Sturz eines Pferd/Reiter-Paares. Während der Reiter noch lange am Boden liegen blieb, trabte das Pferd schon wieder munter durch die Arena, vom Stadionsprecher mit den Worten kommentiert: „The pony is fine.“ („Das Pferd ist unverletzt.“) Kein Wort zunächst über den am Boden liegenden Reiter. Wundert das? Ist das britische Pferdeliebe? Eine Antwort findet sich bei der Poloregel-Beschreibung auf der deutschen Wikipedia-Seite: „Der Schutz der Pferde ist die oberste Maxime des Regelwerks (… ), und jede mögliche Gefährdung eines Tieres führt zur sofortigen Unterbrechung des Spiels (hingegen geht bei Sturz eines Spielers, wenn es nach Ansicht des Schiedsrichters kein schwerer Sturz war, das Spiel weiter).“ Da also in diesem Fall „das Pony fine“ aus der Sache herausgekommen war und auch der Reiter irgendwann wieder auf seinen Füßen stand, wurde das Spiel zuende gespielt.

In der dann folgenden Pause vor dem zweiten angesetzten Spiel drängte eine Anzahl Zuschauer auf das Geläuf, um – zumeist gestiefelt – die Löcher im Rasen einzuebnen. Die weitaus größere Anzahl – ich will nicht sagen „Zuschauer“, sondern „abwesend Anwesende“ – beteiligte sich allerdings nicht an der Rasenpflege, sondern sprach weiterhin dem Champagner zu.


Das Pfingstfeuer. Am Pfingstsonntag war das Wetter dem Radlfahrer günstig, und so wählte ich für die Fahrt zum römisch-katholischen Gottesdienst in Chester weder Auto noch Motorroller, sondern der Sportlichkeit wegen das Fahrrad. Alles war wunderschön – zumindest solange, bis ich in einen Kreisverkehr einbog, um auf eine Straße durch ein Wohngebiet Richtung Innenstadt zu gelangen. Ich war bereits innerhalb des Kreisverkehrs und hatte also Vorfahrt. Das interessierte eine Gruppe Radrennfahrer, die diesen Kreisverkehr ebenfalls passierten, allerdings die Bohne nicht. Ich überlebte, ziemlich angesäuert. Zu allem Unglück fuhren diese Irren – ihr Herankommen von hinten nahm schier kein Ende – die gleiche Straße wie ich Richtung Innenstadt. Dass sie mir beim Überholen nicht meinen Rückspiegel wegrasiert haben, so dicht fuhren sie an mir vorbei, ist ein Wunder. Ich überlebte, schon mehr als angesäuert, richtig (Entschuldigung:) angepisst.

Aber dann, ja dann, kam die Entschädigung! Als nämlich diese Straße in die Hauptstraße zur Innenstadt überging, war plötzlich ein ganzer Fahrstreifen abgesperrt und für die Radfahrer reserviert. Normalerweise fahre ich dieses letzte Stück zur Kirche auf dem wenig frequentierten Bürgersteig, weil die vier Spuren der Hauptstraße extrem eng sind. Heute allerdings hatte ich eine Spur zwar nicht für mich alleine, war jedoch Auto-verschont. Dieser Genuss fand noch seine Steigerung. Denn am Straßenrand standen Menschen, die mit Kuhglocken bimmelten, mir, ja mir(!), applaudierten und mich anfeuerten. Ich war mir der besonderen Zuschauergunst zweifelsfrei sicher. Denn während alle anderen Radler mit den denkbar scheußlichsten Radfahr-Funktions-Designer-Klamotten auf ihren sündhaft teuren schmalstbereiften Renn-Vehikeln daherbrausten, kam ich mit normaler Straßenbekleidung auf einem schon in die Jahre gekommenen Touren-Rad dahergedümpelt. Das erwärmt auch des eifrigsten Radrennsport-Fans Herz.

Das war mein persönliches Pfingstfest: Angefeuert (Feuer, sic!) zu werden auf dem Weg zum Gottesdienst!