In China haben sie gerade den Tiger im Kalender, aber für mich ist 2022 eindeutig das Jahr des Hasen, und zwar des echten. Auf der Loire-Radtour im Mai dieses Jahres hat mich ein Langohr fasziniert und nun, auf einer kleinen Bretagnetour, konnte ich in Ruhe zweien zusehen. Frankreich scheint ein Hasenland zu sein. Kaninchen gab es auch. Und natürlich Hinkelsteine.
Schon wieder Frankreich? Da ist ein Glückskeks am Reisen … Und das kam so: Unser Covid-Gutschein für die nicht stattgefunden habende Fährfahrt nach Spanien ist immer noch nicht aufgebraucht, da darf man kreativ werden. Ich habe mein Rad gepackt und auf ging es nicht nur auf die Fähre, sondern gleich über Nacht in einen Schlafsessel, der adequat ist für Kopf, Rumpf und Arme, aber unmöglich für Beine, denn man kann sie nicht hochlegen. So kann niemand schlafen. Bis zu 100% der Sesselmietenden haben auf dem Boden oder den reichlich über das Schiff verteilten Bänken geschlafen. Ich habe es mir irgendwie wie ein Schlangenmensch relativ gemütlich gemacht. Nächstes Mal packe ich einfach den Schlafsack ein. Aber es war billig, nur 5 Pfund für den Schlafsessel zusätzlich zum Fahrschein. Eine Kabine kostet um die 40 Pfund und liegt innen, hat also keine Fenster, das ist nicht schön. Von Plymouth nach Roscoff fährt man nachts, die Rückkehr findet jedoch tagsüber statt. 12 Stunden gegenüber 6 Stunden – die Fähre fährt nachts langsamer. Sie kommt immer pünktlich an.
Gerade war ich von einer heftigen Covidattacke genesen gewesen, einen Tag fühlte ich mich dabei wie eine Glühbirne, so ein Fieber hatte ich, dachte, ich leuchte im Dunkeln. Das hätte mir nicht geholfen, hatte zum Lesen echt keine Lust. Doch es ging steil nach oben. Nach den ersten drei miesen Tagen konnte ich bereits nach einer Woche bei sehr warmen Temperaturen in meinem Job als Gärtnerin arbeiten und dennoch abends frisch und fröhlich die Fähre besteigen. Diese Widerstandsfähigkeit hat mich wirklich gefreut, ein bisschen fit und halbwegs gesund essen scheinen wenigstens nicht zu schaden. Über Krankheiten zu reden ist öde, doch weil es ein neuer Infekt ist, dachte ich, ich sehe mal genau hin, ob ich ins Schema passe. Es gab keinen Geschmacks- und Geruchsverlust wie bei den Alphavarianten, dafür Müdigkeit schon bevor ich wusste, ich bin infiziert. Dazu ein nicht tief gehender Husten, der lange anhielt (dauert, bis die Lunge sich selbst gereinigt hat), Fieber, etwas Herzrasen – alles übliche Symptome eines Omikronvirusses.
Politikeinschub
Derweil ich angeschlagen war, ist die angeschlagene britische Regierung (endlich) gekentert. Boris Johnson ist fast zurückgetreten, aber immer noch da, da er sich selbst zum Interimspremier ernannt hat, was ethisch mal wieder zweifelhaft ist, aber legal. Die Parteimitglieder seiner Torypartei dürfen nun bis Herbst aus zwei von den Parlamentarier:innen der Torys vorausgewählten Kandidat:innen den/die nächsten Premier wählen. Das sind 150.000 potentielle Wählende für diesen minimalistischen Wahlzettel. Ist das demokratisch? Ja und nein, es ist immerhin partei-demokratisch. Erzwungene Neuwahlen sind natürlich volksnäher, doch in Deutschland verbleibt so ein Fall völlig im Parlament. Wenn ein Kanzler zurücktritt, schlägt der Bundespräsident jemanden vor, der mit absoluter Mehrheit gewählt werden müsste. Wenn der Bundestag das nicht macht, kann er (der Bundestag) jemand anderen wählen. Hat diese Person die absolute Mehrheit, muss der Präsident ihn oder sie ernennen. Hat diese Person nur die relative Mehrheit, also die meisten Stimmen aller Kandidat:innen, kann der Präsident sie ernennen oder aber Neuwahlen ansetzen. In keinem dieser Szenarien hat also das Volk oder irgendwelche Parteimitglieder ein Wahlrecht. Allerdings entscheidet das ganze Parlament, nicht nur die bisherige Mehrheitspartei(en).
Bei Mr. Johnson denkt man sich ja, schlimmer kann es nicht werden, doch wir werden sehen. Die beiden übrig gebliebenen Kandidat:innen haben in der Vergangenheit wenigstens etwas Integrität bewiesen, aber über den Tellerrand schauen, nicht nur flicken und reparieren, wo’s gerade brennt, ob sie das können, das wird man sehen.
Man wundert sich ohnehin, dass sich so viele Menschen dafür bewerben …
Die Rolle des britischen Premiers ist etwas anders als die des deutschen Bundesbämbels, es ist mehr auf Kooperation mit den Minister:innen und den eigenen Mehrheiten ausgerichtet. Einerseits. Andererseits ernennt und feuert er oder sie das Kabinett.
Premier war immer ein Schleudersitz. Seit 1945 hat es 15 verschiedene Premierminister:innen gegeben. In Deutschland sind es seit 1949 10 Kanzler:innen und da ist Walter Scheel mit dabei, der zwischen der Amtszeit von Willi Brandt und der von Helmut Schmidt nur für 9 Tage kommisarisch die Geschäfte geführt hat. Wir haben es also mit einer Relation von etwas über 5 Jahre pro Premier zu weit über 7 Jahren pro Kanzler:in (ohne Scheel sogar über 8 Jahre) zu tun. Vielleicht sagt das was über das parlamentarische System oder die Mentalität der Völker oder den Augenblick der Geschichte aus. Oder auch nicht, das kann ich nicht beurteilen. Jedenfalls hatte jeder Premier, oder in früherer Zeit die entsprechende Position, es hieß nicht immer Premier, immer eine Rückfahrkarte in der Tasche. Seit Robert Walpole 1721 der quasi erste halbwegs moderne Premier wurde, gab es 77 Amtszeiten, etliche Inhaber mehrmals in nicht aufeinanderfolgenden Amtsperioden. Das sind 3,9 Jahre pro zusammenhängender Amtszeit. Erscheint nicht viel.
Britain ist es gewohnt, dass es etwas rau zugeht und Verluste realisiert werden. Ohne die traditionellen Formalien würden die Messer gewetzt, so ist die großkotzige politische Rhetorik ein Ritual, das erwartet wird. Mr. Johnson ist sicher einer, der alle Möglichkeiten ausgereizt hat. Nun hat er sie überreizt.
Der Rest der Welt
Die Fähre, deren Hafen in Plymouth von mir (ich war dieses Mal alleine) in unter 15 Minuten mit dem Rad zu erreichen ist, fährt nach Roscoff in der Bretagne. Von dort liegt einem theoretisch nicht nur ein Kontinent zu Füßen, Europa, sondern man könnte auf dem Landweg sogar Asien und Afrika ansteuern. Verheißungsvolle Aussichten! Doch manchmal ist ganz einfach. Die Bretagne ist in vier Departements gegliedert, das um Roscoff heißt Finistère, Land-Ende. Weiter muss man gar nicht, denn es ist ein idealer Flecken Erde, Sandstrände, nette Dörfer, entspannter Familientourismus, der sich verläuft, Gemüseanbau und viel Ruhe. Ich wohnte in einer Pension bei Plouescat nur 25 km von Roscoff entfernt.
Breton:innen und Cornwaller:innen sind Verwandte. Ihre Länder sind auch von der Geologie her ähnlich, aber es gibt auch viele Unterschiede. So gibt es in der Bretagne, soweit ich weiß, keine Bodenschätze wie z.B. den Zinn, das Kupfer und das Kaolin in Cornwall. Dafür erlebte das Land vor Hunderten von Jahren eine wohlhabende Phase mit der Woll- und Leinenproduktion und -verarbeitung und es gibt diese Menge an steinzeitlichen Gräbern und von Menschenhand bewegten Felsen.
Fisch und Meeresfrüchte stehen auf beiden Seiten des Ärmelkanals auf dem Speiseplan, es gibt Austern hüben wie drüben, aber so ein Frühstück wie die beiden unten gezeigten wird man lange suchen müssen.
Es war fast ein bisschen schade, dass das Wetter so gut war. Ich wohnte im Malzimmer, in dem tatsächlich kleine Leinwände und professionelle Pastellkreiden usw. zur Verfügung standen. An den Wänden hingen Werke ehemaliger Gäste. Eine sehr gute Idee, wenn der Wind pfeift und der Regen an die Glastür prasselt. Das war jedoch nicht der Fall, vielmehr sah es die 4 Tage meist so aus:
Die schon 2019 erwähnten Enclos (eingefriedete Ensembles aus Kirche, Gebeinhaus, Triumphbogenartiger Zugang und Kreuzigungsgruppe aus der reichen Woll- und Leinenzeit) sind auch immer eine beliebtes Radziel.
Ich habe all diese Dinge, Baden, Radeln, Essen keineswegs immer alleine gemacht. Nahebei hat die deutsche Familie L aus D wie jedes Jahr in wechselnder Besetzung den Monat Juli in Plouescat verbracht und mich gleich herzlich mit eingebunden. Sie waren es eigentlich, die uns schon 2019 gezeigt haben, wie interessant und fantastisch diese Gegend ist und man einfach die Weite des Himmels und das gute Essen eine Zeit lang auf sich wirken lassen kann. Zufrieden bin ich, dass ich mit Freund L. s elektrischem Fahrrad ganz gut mithalten konnte …
Man sieht, das Gras auf dem Hoe (der Hügel) ist braun, auch auf der Insel haben wir eine Trocken- und Hitzewelle.