Zwillingsstädte

Brest (Bretagne) und Plymouth als Partnerstädte, das passt wie angegossen. Beides sind größere Hafenstädte mit einer starken Marinepräsenz. Sie haben Bombardements im zweiten Weltkrieg erfahren, manchmal von feindlichen Kräften, manchmal von freundlichen Befreiern, das auch in den Innenstädten viel zerstört hat. Die Lage an einer natürlichen Bucht, die vom Meer und mehreren Flüssen gespeist wird, ist ähnlich, das Klima ist mild. Gut, die eine liegt in Frankreich, die andere in England, doch nicht weit auseinander, man kann einen regen Austausch pflegen.

Und das wird auch gemacht. Zweimal im Jahr, einmal hüben, einmal drüben, gibt es Besuch. Unsere neue französische Freundin haben wir im Mai in Plymouth kennen gelernt und beherbergt, nun ist es an mir (ohne K), den Besuch zu erwidern.

Es ist das erste Jahr seit Covid, in dem diese Besuche wieder stattfinden. Im 60. Jahr der Partnerschaft wird die persönliche und offizielle Beziehung nicht aufgegeben. Es gibt alte Hasen und Neulinge in der Gruppe, ein Interesse an Kunst und Musik verbindet viele davon. Ja, wir haben Musiker:innen und Sänger:innen auf beiden Seiten, es wird wieder viel getanzt und gesungen werden, meistens im Folkorebereich, Seemannslieder z.B. Auch ich werde im Quartett singen, schließlich habe ich drei meiner alten Chorfreundinnen für den Austausch rekrutiert. Unser Repertoire ist etwas eingeschränkt, denn wir singen alle in der derselben tiefen Stimmlage, deshalb könne wir nicht mit vokaler Harmonie dienen, doch unter anderem mit einem neuen See-frauenlied, das eine weitere Frau sus dem Chor komponiert hat. Es handelt von den Fischersfrauen, die am Hafen stehen und warten, dass die Männer mit dem Fang anlanden. Dann geht die Arbeit los: ausnehmen, salzen, einlegen, stundenlang. Und dann wieder warten.

Ich bin, wenn man so will, Mitglied der Untergruppe Buchclub, wir treffen uns ein- bis zweimal im Jahr über Zoom und besprechen (auf Englisch) ein Buch, das eine der Seiten ausgewählt hat. Im Rest des Jahres machen die Clubs dann ihr eigenes Ding. Die Gesichter sind mir also in Briefmarkengröße (Zoom ….) bereits vertraut und im Mai habe ich einige persönlich kennen lernen dürfen, auch meine Gastgeberin Andrée ist dabei.

Bei allem, was Brest als Stadt zu bieten hat, die Fürsorge der Gastgebenden war schon mal einmalig. Wir kamen mit der Nachtfähre nach Roscoff, ein Bus für die 45 minütige Weiterfahrt war vorgebucht und unsere erste Station war ein Frühstück in einer Jugendherberge. JuHe klang nicht so spannend, doch wir sind in Frankreich, Architektur wird geschätzt wie gutes Essen. Das moderne Gebäude hat etwas von Bauhaus und lädt uns mit warmen Licht ein, der Treffpunkt war nicht zufällig gewählt.

Das Programm ist pickepackevoll, doch wir haben Zeit für persönliche Wünsche. Meine Gastgeberin weiß, dass ich gerne schwimme. Sobald sie festgestellt hat, dass ich meine Sachen mitgebracht habe, sogar ein kleines Handtuch, schlage ich vor, der geeignetste Augenblick des Wochenendes sei: jetzt. Wir waren noch nicht einmal in ihrer Wohnung und schon geht es an den Strand.

Die Bucht von Brest, die Stadt liegt auf der rechten Seite.

Wir sind nicht alleine. Die Gastgebenden haben sich in Klein- und Freundschaftsgruppen zusammengetan, viel wird zu viert oder zu sechst unternommen, Autos werden voll gepackt, es ist viel Sorgfalt in die Vorbereitung gesteckt worden.

Am Strand sehen wir Gruppen von Menschen in Neoprenanzügen. Das ist der Trend in Frankreich: Longe-Côte oder Aktives Wasserwandern. Im flachen Wasser gehen, eine Art Wassergymnastik gegen den Widerstand des Meeres.

Wir müssen uns eilen, wir haben noch viel vor: eine Autofahrt bringt uns zu einem Küstenort, in dem wir ein Dreigängemenü zu uns nehmen, während sich die 70, 80 Häupter große Gruppe fleißig auf Englisch, Französisch und sogar Deutsch unterhält. Die Gruppe beinhaltet viele Sprachfreund:innen, die alles lernen, was ihnen unter die Finger kommt. Es ist ganz gut laut. Die anschließende Wanderung an der bildschönen Küste wird etwas ruhiger. Sie führt uns zu einem Café mit Buchhandlung, der passend benannten Librarie des Voyageurs, Buchhandlung der Reisenden, die ausschließlich Reiseliteratur (nicht Reiseführer) im Angebot hat.

Nach einem Gespräch mit dem Gastronomen ist der Tag noch lange nicht zu Ende, wir werden im Rathaus von Brest mit einem Cidre- und Sektempfang geehrt (Reden gibt es auch) und dann geht es in kleiner Runde in ein Restaurant mit Hafenblick zum Abendessen. Wollten die Gastgeberinnen sowieso mal ausprobieren … Essen tun wir genügend.

Aus dem Restaurant Blick über die Boote im Jachthafen

Am Samstag treten wir in einem ehemaligen Militärarsenal auf, das Napoleons Prachtbarke ausstellt, besuchen in kleiner Anzahl einen Gemeinschaftsgarten, der inmitten von viel Grün und Wald eine erstaunliche Menge von Gemüse versteckt hat (Samstag ist der Arbeitstag, bei dem auch geerntet wird). Abends dann das gemeinsame Abendessen, gefolgt von Musik und Tanz à la Bretagne – in Reihe mit eingehakten Fingern. Das Ganze lebt vom Engagement vieler, der Vorbereitungsgruppe, die liebevoll dekoriert hat und das – natürlich viergängige – Essen organisiert hat, und den Künstler:innen aus beiden Ländern, die der Sache noch mehr Schwung geben.

Auftritt im Arsenal
Napoleons Zeremonienschiff mit Deckenspiegel, damit man bequem das Innere sehen kann.

Der Abschied am Sonntag vormittag ist herzlich. Wir haben längst nicht alle Sehenswürdigkeiten gesehen, doch durften wir ein Stück privates Frankreich erleben, die Wohnungen der Gastgebenden, zufällige Begegnungen mit deren Bekannten auf der Straße, Einkaufen auf dem Wochenmarkt …

Wir fahren müde, doch voller Freude wieder nach Hause. Bis zum nächsten Mal.

Hand verzierte Gläser mit der Beschriftung 60 Jahre Partnerschaft (Twinning) als Gastgeschenk für die Engländer:innen, also auch für mich. Die Farben rot-blau-weiß in den Tupfen sind nicht zufällig: beider Länder Flaggen bestehen aus diesen Farben.

Von der Insel auf die Insel(n)

Die Scillies tauchen am Horizont auf.

In Plymouth gibt es genau zwei Arten von Leuten. Welche, die schon auf den Isles of Scilly gewesen sind und davon schwärmen. Und welche, die schon lange mal hinfahren wollten. Wir machen die Probe aufs Exempel und sehen sie uns an. Dazu müssen wir bis an die Spitze Cornwalls vordringen und anschließend irgendwie übers Wasser kommen. Wir gönnen uns einen 20-minütigen Hubschrauberflug. Bei gutem Wetter, wie wir es hatten, ist das wie Busfahren. Reibungslos. Schwerelos. Allerdings der lauteste und teuerste Bus, den ich je benutzt habe. Zu meinem Erstaunen lohnt sich das Erlebnis. Hubschrauber fliegen ist knorke!

Eine Sikorski, falls das jemand wissen will.

Wer sich die Karte ansieht, dem fallen die vielen Inseln auf, in die die Scillies zerfallen. Manche sind nur bei Flut getrennt, bei Ebbe gibt es also noch mehr davon. Es handelt sich bei der Gruppe um Granitmassive, deren geologische Stränge unterirdisch nach Osten weiterlaufen und z.B. als unser gutes altes Dartmoor nördlich von Plymouth wieder auftauchen.

Inselleben ist gemütlich. Es gibt Autos, aber viele fahren Rad oder Boot oder gehen zu Fuß oder es gibt elektrische Art Golf-Carts zu mieten. Die Scillies sind jedoch kein Ökoparadies, jede der vier bewohnten Inseln hat ein Ölkraftwerk, mit dem Elektrizität erzeugt wird, wenn nicht genügend über das Unterseekabel von Cornwall herüberkommt. Manchmal werden sie dann sogar angeworfen, um nach Cornwall zu exportieren.

Jede Insel ist anders, es lohnt, sie einzeln aufzusuchen. St. Mary’s, die Hauptinsel, hat Dorfcharme. St. Agnes hat echte Bauernhöfe und richtig gutes Milcheis. Tresco ist wie ein großer (und teurer) Park und hat konsequenterweise auch einen halb tropischen Garten zu besichtigen, die Abbey Gardens.

Furcraea parmenteri in Blüte. Moment! War da nicht was gewesen? Die ebenso wunderschöne Furcraea longaeva hatten wir früher kennen gelernt, die war nicht-blühend anwesend. Beide Pflanzen blühen nur alle 15-20 Jahre und sterben dann ab. Wir werden noch Furcraea-Spezis, ein besonderes Schmankerl für Grün-Freund:innen.

2200 Menschen leben auf den Scillies und die meisten vom Tourismus. Dieser Tourismus kommt zum großen Teil nicht von weither, sondern aus dem West Country. Das sind Cornwall und Devon. Dabei sieht es dort teilweise ähnlich aus. Aber die Scillies ziehen an und viele kommen seit Jahrzehnten, hatten vielleicht Familie hier. Man kann viel erfahren, wenn man auf Bootsfahrten einfach zuhört, was die Gäste mit den Bootsführern bereden und wie das alles zusammenhängt. Denn wenn man jemanden auf der Insel persönlich kennt, kennt man gleich fast alle. Die Scillies sind also ein lokaler Geheimtipp.

Ich kenne niemanden, aber durch meine Glockenläuterei erhalte ich immer Zugang zu Orten, wo nicht alle hinkommen. Die 8 Glocken von St. Mary’s the Virgin auf St. Mary’s sind sehr gut gepflegt und die Läutenden sind nicht Insulaner:innen gewohnt, die einfach vorbeischneien.

Man kann sagen, es ist sanfter Tourismus, viele Ferienwohnungen, keine Hotelburgen, Campingplätze in atemberaubenden Lagen. Es gibt Inselbier (schmeckt), Inselcider (schmeckt auch), Inselgin (schmeckt auch auch) und die Überbleibsel von Blumenzüchtern, vier sind noch übrig von 70 Betrieben. Das milde Klima erlaubt die Anzucht von hochwertigen Pflanzen, aber die Billigimporte über Holland machen die Arbeit nicht lohnend. Von Ständen am Wegesrand kann man Zwiebeln kaufen (und einiges andere kann man am Wegesrand kaufen). Natürlich musste ich zuschlagen. Man kann nie zu viele Narzissensorten haben und ein paar Amaryllis für das winterliche Fensterbrett klingt nach einem guten Projekt.

Im Hintergrund das helle Haus mit den drei Dachfenstern über dem Friedhofskreuz war unser B&B mit Café. Ein Familienunternehmen, 2 Generationen. Natürlich.
Auf diesem Friedhof liegt Harold Wilson begraben, ein ehemaliger Premierminister und Fan der Scillies.
Die Badebucht, 10 m vor dem B&B. Ein Traumleben.

Was noch? Ja, die Natur natürlich. Buchten mit Stränden von Felsbrockengröße bis Puderzuckerklasse-Sand und alle Grade dazwischen. Hoch- und Tiefmoore und Heidelandschaften. Nette Wanderwege überallhin und vor allem an den Küsten entlang. Dazu die Auswahl: auf die anderen bewohnten Inseln kann man täglich mit Booten fahren, die als Busse fungieren. Wieder mal Busse, die keine sind. Ein weiterer Unterschied zu Bussen ist, dass manche Anlegestellen bei Niedrigwasser getauscht werden müssen und nicht, weil die Gegenhaltestelle halt auf der anderen Straßenseite läge. Dann muss man woanders zusteigen als man ausgestiegen ist. Aber eben nur, wenn die Tide das erfordert. Die Rückfahrzeiten und -orte werden beim Aussteigen verkündet. Für Neulinge ist es besser, sich das zu notieren, es wird aber bald Routine.

Auffällig viele Männer in dunkler Kleidung sind zu sehen. Sie treten einzeln oder in Horden auf. An ihren Hälsen hängen meterlange Teleskoplinsen, manchmal in Tarnmustern. Sie nicht nicht besonders gesprächig und sehr konzentriert = wir haben noch nirgends so viele Vogelfreunde auf einem Haufen gesehen. Wir bleiben bei den Spatzen. Die Möwen fressen einem nicht die Fritten aus der Hand, aber die Scharen von Spatzen lauern nur darauf, bis man den Kuchenteller unbewacht lässt. Als wir den Teller mit Krümeln ihnen überlassen haben, waren die in Sekunden weg. Ein Schelm, wer nicht an Hitchcocks Die Vögel denkt!

Wanderbare Steinzeugen.

Die Scillies sind seit Jahrtausenden besiedelt. Nach allem, was die Archäologie herausgefunden hat, von gesunden, wohlhabenden (zu sehen an Handelswaren) Menschen. Ob sie zufrieden waren, weiß man natürlich nicht, aber ihre Voraussetzungen waren nicht schlecht.

Die frühesten Besiedler:innen haben Menhire (Obelixens Hinkelsteine) aufgestellt, wie in der Bretagne und im übrigen Cornwall. Sind wie eine Postkarte aus der Vergangenheit. Ohne Briefmarke, aber wasserfest.

Zurück ging es klassisch mit der Fähre Scillonian III. Ein 43 Jahre alter Seelenverkäufer, auf dem man am besten auf Deck mitfährt, damit einem eher nicht schlecht wird. So ein Insidertipp. Außerdem kann man dort die Delfine beobachten, die immer wieder mit der Bugwelle spielen. Die Fahrt war nicht so schlimm;-)

Wir sind jetzt in der Gruppe der Plymouthians, die auf den Scillies waren und es toll fanden.