Kents Biere. Und Marx in London.

Kent rühmt sich, die älteste kontinuierlich brauende Brauerei Großbritanniens zu beherbergen. Shepherd Neame heißt sie und braut offiziell (und inoffiziell mindestens 100 Jahre länger) seit 1698. Beeindruckend, wenn auch nicht ganz so lange wie das Salzburger Stieglbräu von 1492. Weihenstephan geht sogar auf 1050 zurück, doch die sind so oft abgebrannt, durch normale Brände und im Zuge von Eroberungen, ich nehme nicht an, dass sie jedes Jahr brauen konnten.

Also 1698 und immer noch ein Familienunternehmen. Um die Ecke wird Hopfen angebaut, das örtliche Wasser hat einen idealen Brau-pH Wert von 7,2 und kommt direkt ins Haus, aus einem artesischen Brunnen unterhalb des Brauerei. Aufgrund eines alten Vertrages mit einem König sogar kostenlos. Perfekte Bedingungen für ein erfolgreiches Geschäft.

Die Führerin erklärt, wie die Mälzung der Gerste das Aroma beeinflusst, von fast roh bis zu schwarz gebrannter Schokoladengerste, die wirklich wie Schoko-Reis-Crispies aussieht. Genauso wichtig ist die Wahl der Hopfensorte (ja, es gibt viele) und der Hefestrang, den jede Brauerei jahrzehnte- bis jahrhundertelang eifersüchtig hütet und über den typischen Geschmack mitentscheidet. Die Literzahlen der Behältnisse gehen immer in die Hunderttausende, dennoch ist die Anlage sehr kompakt und übersichtlich.

Man braut auch -in Kooperation- das bekannte thailändische Singhabier für den europäischen Markt und hier wird es interessant. Um den originalen Geschmack hinzubekommen, liefert Thailand deren Hefestrang und das Malz. Das Wasser ! wird angepasst, damit das Bier wie in Thailand schmecken kann. Ein Eigenexperiment könnte das werden, wenn man im Urlaub in Thailand gewesen ist, und nun in England Singhabier trinkt.

Und es gibt wirklich Biere mit drei Sorten Hopfen drin, das wirkt schon wie ein Designerbier. Ich würde sagen: das ist ein Designerbier.

All diese Dinge zeigen, es steckt nicht mehr in diesen Bieren als vier Zutaten, aber diese Zutaten haben feinste Nuancen. Nimmt man dazu Brautemperaturen und Einweichzeiten, versteht man, warum Biere (angeblich, ich mag Bier nicht wirklich) so unterschiedlich schmecken und es immer wieder neue geben kann.

Auch für die Bieramateurin ist die Probestunde ein (hicks!) Erlebnis.

Modernes Glasfenster im Brauhaus. Es geht auf ein Dach hinaus, kann also nur gesehen werden, wenn man sich im Gebäude befindet. Es zeigt Bierproduktion gestern und heute.

Das zweite Fenster zeigt Hopfenanbau gestern und heute. Man beachte den Stelzengänger rechts oben, er schnitt die höchsten Reben. Mehr zu dem Gebäude in der Mitte folgt weiter unten.

Hopfen kam relativ spät nach England, im 15. Jahrhundert, vorher wurden andere Geschmacksträger den Bieren zugesetzt. Der Empfang dieser “ausländischen Mode” war gemischt, man war damals schon misstrauisch dem Fremden gegenüber. Hopfen setzte sich jedoch durch, man begann ihn zu lieben, und selbst als Heinrich VIII es einige Jahrzehnte lang verbieten ließ (immer Heinrich VIII, er liebte Verbote), war der Hopfenanbau nicht zu unterbinden und schon wenig später wurde Hopfenbier als urenglisch gefeiert.

Kent hat zur Hopfentrockung eine eigene Art von Gebäude entwickelt. Das Ziel ist immer, von ca. 80 Prozent Feuchtigkeit auf 8-10 Prozent herunterzukommen, sonst ist er nicht lagerbar.

Eines der alten Hopfentrockenhäuser. Viele dienen nun als Wohnhäuser, glücklicherweise wurden dadurch etliche dieser einmaligen Gebäude erhalten. Sie heißen Oasts, ein sehr altes Wort, das ursprünglich von dem lateinischen Wort Aedes für Herd stammen soll – ein Ofen also.
Sie funktionierten mit Durchzug. Unten gab es eine Öffnung nach außen und das Feuer. In der Mitte der Hopfen. Die Kamine konnten gedreht werden, so dass seitliche Öffnungen immer ideal zum Wind standen, um eine optimale Trocknung zu ermöglichen.

London – ein Friedhofsbesuch

Und noch eine Führung, auf dem Heimweg. Es tut gut, in London jede verfügbare Stunde zu nutzen, um interessante Dinge zu erfahren. Dieses Mal geht ein lang gehegter Wunsch, Highgate Cemetary, einen der berühmten viktorianischen Friedhöfe, zu besuchen, in Erfüllung. Einer der heute berühmtesten Ruhenden dort ist Marx, aber deswegen bin ich nicht gekommen.

Man kommt aber nicht um ihn herum, er liegt an einem Hauptweg und sein Kopf ist absurd groß. Das ist nicht Karls Schuld, sein Familiengrab bestand nur aus einer schlichten Grabplatte. In den 50iger Jahren sammelte die kommunistische Partei Englands Geld, um ihn umzubetten, und gleich neben dem alten Grab mit dieser Monstrosität erneut zu bestatten.

Highgate Friedhof selbst entstand im Zuge der Bevölkerungsexplosion Londons vom 18. Jahrhundert an. Die kirchlichen Friedhöfe waren so überlastet, dass Tote dort umstandslos übereinander und nur kurz unter der Oberfläche bestattet wurden, es war unwürdig, extrem ungesund für die Lebenden und dazu gefährlich – Leichendiebstahl war eine echte Gefahr, denn die aufstrebende ärztliche Kunst hatte nicht genügend legale Leichname, meist Sträflinge, zur Verfügung, um den Hunger nach Wissen über den menschlichen Körper zu befriedigen.
Normale Menschen wollten jedoch nicht zerlegt werden, die meisten glaubten an eine Auferstehung des Fleisches (auch wenn sie wussten, dass sich Körper zersetzen … Menschen sind nicht konsequent). Der Gedanke, an Auferstehung gehindert zu werden, bot neuen Friedhöfen eine Chance. Sie worben mit hohen Mauern und Tag- und Nachtwächtern, die Leichendiebstahl unterbinden sollten. Die sieben in dieser Zeit am Rande Londons entstandenen Friedhöfe waren sehr erfolgreich und verkauften Grabstätten wie warme Semmeln.

Die Bäume haben sich größtenteils selbst ausgesät. Ursprünglich war der Friedhof ein offenes Gelände, das einen freien Blick über London ermöglichte. Highgate Hill, wo wir uns befinden, ist wirklich die “Anhöhe vom Hochtor”. Die meisten Grabsteine waren blendend Weiß, doch verwittern sehr schnell. Umweltverschmutzung und ein Waldklima sorgen dafür.

Berühmte Menschen heute sind nicht immer berühmte Menschen von gestern. Grab Nummer 1 z.B. beherbergt einen stadtbekannten Fuhrmann, eine Persönlichkeit, der Tausende Menschen aus allen gesellschaftlichen Ständen die letzte Ehre erwiesen.

Da der Friedhof ein Unternehmen war und nicht kirchlich (wenn auch ein Teil gesegnet wurde), machte er pleite. Denn es hatte die Grabstellen auf Ewigkeit verkauft. Als alle verkauft waren, gab es zu wenige Einnahmen. Highgate verwilderte nach dem Krieg und wurde Zeuge gruseliger Szenen. Es gab Graböffnungen bis zur Leichenschändung, Seancen wurden abgehalten (es gab Gerüchte über einen Vampir von Highgate) und die Drogenszene war vor Ort. Der Gemeinderat wollte das Land verkaufen und die Gräber irgendwie stapeln – in England ist es nicht einfach, die Erlaubnis zu bekommen, einen Friedhof zu zerstören. Erwartungsgemäß regte sich erst zu dieser letzten Stunde Widerstand der örtlichen Bevölkerung, in den 70ern wurde ein Verein gegründet und heute ist der Friedhof nicht nur ein lebendiges Denkmal von Grabkultur, sondern immer noch ein aktiver Begräbnisplatz. Da man sich selbst finanziert, kostet er Eintritt, das ist natürlich ungewöhnlich, aber jeden Penny wert.

Die ägyptische Avenue mit Sargnischen (Wikipedia)
In den Katakomben. Sargnischen, die Opfer des früheren Vandalismus wurden, wurden so konserviert wie sie vorgefunden wurden.
Highgate Hill. Nur im Dunst unten erahnt man den Rest Londons. Aber wenigstens sieht man einen roten Doppeldeckerbus.

Einige Fakten über: Kent

(Die besseren Bilder sind von Freundin R, die anderen von mir oder aus Wikipedia)

Der Südosten – das ist, wohin London überquillt oder in die Ferien fährt, ein fruchtbarer Landstrich nahe dem Kontinent, das Transitland für alle Hauptstadtgäste.

Erster Eindruck: saubere Züge, saubere Häuser, Obstgehölze in Reih und Glied. Schlammig, denn auch der Südosten bekommt von diesem waschelnassen Winter reichlich ab. Wenn die Bäume blühen, wird es wolkig weiß und rosa werden, noch muss man sich mit Narzissen, Frühlingsknotenblumen und Palmkätzchen begnügen. Ein Käuzchen ruft im angrenzenden Wald, das Café am Bahnhof hat üppige Kuchen und im Ladenteil gibt es nicht nur die Milch für Vergessliche, sondern Delikatessen. Die Menschen sind wohlhabend, hoffentlich werden die Saisonhelfer:innen auch entsprechend ordentlich bezahlt.

Ende Gelände

Der Zug bringt nach Dover. Eine Stadt, die man vom Fährhafen aus kennt, meist bei Nacht, wenn kümmert es, wie es dort aussieht, man will ja weiter, weiter. Die Fähren fahren nicht mehr nach Oostende, aber überall sonst hin. Auch an einem trüben Wintersonntag fährt Fähre nach Fähre das Hafenbecken an. Keine Staus heute, kein Hickhack mit der EU. Der Hafen von Calais liegt nur 33 km entfernt. Bei gutem Wetter kann man nicht nur von diesem Punkt der Küste aus den Kontinent sehen und umgekehrt die berühmten Klippen von Dover. Heute ist das Wetter nicht gut genug.

Hier beginnen die berühmten Weißen Klippen von Dover.

Mord in der Kathedrale

Im Südosten Englands kommt man an Canterbury nicht vorbei, dem Schauplatz eines der berühmtesten Verbrechen des Mittelalters. Heinrich II soll dem Sinn nach gesagt haben: “Wer befreit mich von diesem nervigen Mönch?” Gemeint war Thomas Beckett, ehemaliger Lordkanzler, Freund von Heinrich II und später Erzbischof von Canterbury, der, fromm geworden, andere realpolitische Ansichten vertrat als Heinrich. Wie so oft ging es um Machtansprüche des Staates gegenüber der Kirche und umgekehrt.
Vier Ritter haben Heinrich beim Wort genommen, sind nach Canterbury geritten, ermordeten Thomas IN der Kirche auf üble Weise und machten sich dann dünne. So ganz geheuer war ihnen wohl nicht. Heinrich wollte es nicht so gemeint haben, doch es war zu spät: der Erzbischof war tot und das Volk fing unmittelbar an, Thomas zu verehren, gleich 3 Jahre später wurde er heilig gesprochen, ein Kult setzte ein. Der hält bis heute in gewisser Weise an. Nicht einmal Heinrich VIII, der weder Katholiken noch Heilige mochte und schon gar nicht, dass jemand anders als er Boss-Boss war. Er verbot Thomas und seinen Kult explizit, ließ seinen Namen aus Büchern löschen, konnte seine Verehrung aber nicht ausrotten.
Die vier Ritter wagten sich aus ihren Burgen heraus, reisten nach Rom, um vom Papst von ihrer Schuld befreit zu werden. Es funktionierte: der Papst legte ihnen als Sühne “lediglich” auf, 14 Jahre auf Kreuzzüge zu gehen. Ob einer von ihnen diesen gefährlichen Job überlebte, ist ungewiss.
Das Mittelalter war wirklich ANDERS.

Starker Auftritt: Eingangstor zur Domfreiheit

Canterbury wird von der superben Kathedrale geprägt (Wikipedia).

Canterbury hat eine geologische Besonderheit: der Fluss Stour war zur Römerzeit noch kein Fluss, sondern Wantsum Kanal, der die Insel Thanet vom Rest des Landes trennte. Thanet war bis ins Mittelalter hinein ein sehr wichtiges Handelsgebiet, mit zahlreichen bedeutenden Häfen, die heutzutage Badeorte oder im Inland gelegene kleine Flecken sind. Der Kanal verlandete auf natürliche Weise. Im Laufe weniger Jahrhunderte änderte sich das Gesicht und die Bedeutung ganzer Landschaften.

Tunnelblick

Ramsgate ist die kleinere Schwester von Margate, dem berühmteren Badeort. Seit 10 Jahren hat es jedoch eine wirklich interessante Attraktion, die Schutztunnel. Ende der 30iger Jahre entschloss man sich in Ramsgate, auf Nummer Sicher zu gehen und einen Krieg mit Deutschland zu erwarten. Man war sich darüber im Klaren, dass die Orte auf dem Weg nach London besonders stark bedroht sein würden. Es gab bereits Tunnel, der weiche Kalkstein bietet sich zum Graben an, es gab eine touristische Eisenbahn, die Menschen von der Küste auf die Hochebene und weiter beförderte. Daran wurde angeknüpft und in weniger als einem Jahr wurden 5,2 km Tunnel für die Bevölkerung gegraben. Das ging nur, weil das Gestein sehr weich ist und man pausenlos in zwei 12-Stundenschichten gegraben hat.

Leider stellte sich heraus, die Vorsichtsmaßnahme war eine gute Investition. Ab August 1940 waren die Tunnel pausenlos im Einsatz. Da so viele feindliche Geschwader überflogen, lebten Teile der Bevölkerung praktisch in den Tunneln. Wer ausgebombt war, erhielt einen Bezugsschein für einen Platz im Stockwerkbett, es wurden Mahlzeiten in einer Kantine gekocht, damit niemand mit Feuer hantieren musste, es gab Chemietoiletten und strenge Regeln, um die erzwungene Zeit auf engem Raum gut durchzustehen.
Durch die bogenförmig angelegte Form der Tunnel war oberirdisch niemand mehr als 5 Minuten von einem Eingang entfernt. Diese Eingänge führten jeweils um 2 rechtwinklige Kurven, um Druckwellen unschädlich zu machen, die Tunnel waren tief genug, um Bomben von der Oberfläche wirkungslos verpuffen zu lassen. Wirkungslos nicht an der Oberfläche, viele Menschen verloren ihre Häuser. Doch weit weniger als 100 Menschen starben im Krieg in Ramsgate, niemand in den Tunneln, es war eine einmalig effektive Lebensrettungsmaßnahme.


Ramsgate an einem Wintertag – nach den Tunneln kam die Sonne.

Mini, Super-Mini und ganz kleine Teile sowieso

Ein Winterausflug in eine kleine Welt

Es gibt diese Mini-Mundus Museen, in denen man auf den Eiffelturm in Lilliputgröße herabsehen kann oder locker mal über das Kolosseum steigt.

Bourton-on-the-Water in Gloucestershire dagegen bildet sich selbst ab und zwar seit 1940. Bourton-on-the-Water ist ein kleines Dorf am südlichen Rand der Cotswolds, einem beliebten Feriengebiet, das nicht nur aus grün-hügeliger Landschaft besteht, sondern deren Häuser aus dem warm-ockerfarbenem örtlichen Sandstein erbaut sind. Hier fühlt man sich sehr in England, so stellt man sich das vor, ein bisschen ländlich, ein bisschen hübsch. Auch wenn die meisten Leute in Großstädten leben und viele Einheimische hier neue Einheimische sind, also wohlhabende Rei-Gschmeckte, so ist es doch auch ein echter Teil des Landes.

Hereinspaziert: to the model village steht auf dem Schild über der Telefonzelle.

Der Wirt des Old New Inn hatte sich 1936 überlegt, sein Dorf, Bourton-on-the-Water (den Namen kann man nicht oft genug sagen, er ist so niedlich) hinter seinem Gasthof im Maßstab 1 zu 9 nachzubauen. Und da steht es heute noch.

Bonsaialleen
Modell im Modell. Natürlich darf hinter dem Modellwirtshaus (im Bild vorne das Dach davon) das Modelldorf nicht fehlen. Es geht so weit, dass sich (unter dem Plexiglas) in weiteres Modelldorf-des-Modelldorfes befindet.

Miniteile

Von unserem winterlichen Ausflug kamen wir nicht nur mit schönen Eindrücken zu rück, sondern mit einem Fund in einem der zahlreichen stöberbaren Antikscheunen. Ein Sperrholzpuzzle aus den 30iger Jahren von der Firma Victory.

Nur echt in der goldenen Schachtel.

Wir reden hier von rund 600 Teilen, die sehr, sagen wir mal, individuell ausgeschnitten sind. Mehrere mit Druck überzogene Bild-Platten wurden übereinandergelegt und mit elektrischen Laubsägen ausgeschnitten. Die Firma gibt es heute noch und sie stellen weiterhin, nun lasergeschnittene, Edelpuzzle auf Sperrholz her. Im Laufe der ca. 100 Jahre Firmengeschichte wurden Abertausende von Motiven benutzt und Puzzle von einigen Teilen für Kleinkinder bis zu über 1000 Teilen hergestellt.

Was ist mein Puzzle nun und, noch wichtiger, ist es vollständig? Beides konnte mir in dem Antikcenter nicht beantwortet werden. Das erste, weil die Verkäuferin es nicht nachgebaut hat – ich nehme an, sie hat es von einer Hausratsauflösung oder in einem Auktionsgruppenlos erstanden, und deshalb habe ich etwas handeln können. 30 Pfund anstatt 34. Das fand ich fair.

Das zweite, weil Victorypuzzles aus der Zeit absichtlich ohne eine Bildansicht verkauft wurden. Genauso, wie ich meine Puzzle will. Kein Schummeln möglich. Also ans Werk auf meiner rollbaren Puzzlematte.

Und voilá, das Endergebnis. Eine expressionistische französische Hafenszene. Es war eine Erleichterung, dahin zu kommen … komplett, kein Steinchen fehlt.

Doch das ist noch nicht das Ende der Besonderheiten. Victorypuzzles kommen immer mit Whimsies daher. Whimsy heißt Laune, aber eigentlich sind es vergnügliche Fallstricke: Teilchen, die geformt sind wie Figuren, aber inhaltlich nicht ins Bild passen.

Alle Whimsies habe ich herausgenommen.

Wer nun glaubt, die Whimsies hülfen beim puzzeln wegen ihrer untypischen Ränder- nicht wirklich. Es ist unglaublich, wie viel man nicht-sehen kann, sie machen das Ganze noch komplizierter.

Was ist nun das Motiv?

Hafen von Croisic (Freilandansicht) hat jemand mit Schreibmaschine auf dem Etikett eingetragen.

Croisic, so belehrt das Internet, ist ein Hafen in der Südbretagne. Die Küste ist ein beliebtes Ziel von Künstler:innen aus nah und fern. Nur nach viel Suchen habe ich das Original auf einer sepiafarbenen Postkarte gefunden und damit auch den Künstler:

Und damit dieses Bild.

Eine fast identische oder sogar identische Version kann man zur Zeit bei einem bretonischen Spezialhändler für 1600 Euro kaufen. Ist es dasselbe Bild? Das Puzzle und die Postkarte haben einen kleineren Bildausschnitt als dieses Original oben, dennoch müssten dort die beiden Boote rechts im Vordergrund zumindest angeschnitten zu sehen sein und auch die Figuren unter dem Baum. Vielleicht gab es mehrere Versionen, vielleicht wurde das Bild für den Druck retuschiert. Man findet nicht viel über Joseph Alphonse Chaleur, den Maler, nur dass er ein anerkannter Akademiemaler war, viele Häfen gemalt hat, auch Menschen, und erst 1965 verstorben ist.
Eine spannende Detekteiarbeit ist das gewesen, in deren Verlauf ich nebenbei erfahren von der Existenz einer englischen Puzzlegesellschaft erfahren habe. Das ist in England nicht wirklich verwunderlich;-)

Endlich genügend Bücher

Wie man weiß, wird in England nichts weggeworfen. Auch vom Abriss großer zugiger Herrenhäuser wurde ab den 50er Jahren weitesgehend Abstand genommen. Stattdessen kann man diese Villen besichtigen. So auch Saltram House innerhalb des Stadtgebietes von Plymouth, umgeben von einem schönen Garten, Weiden, Wäldern, allerdings heutzutage in Hörweite von zwei Bundesstraßen. Saltram ist ein Naherholungsgebiet, das täglich Hunderte von Menschen anzieht – einige davon besuchen das Haus selbst, das die Originalmöblierung der ehemaligen Eigentümer beinhaltet und auch deren Bibliothek. Es war eine Nutzbibliothek für Bücher, die sie meist auch interessiert haben, keine reine Schau- oder Protzbibliothek. Aber hübsch eingerichtet ist sie schon.

Einer der vielen Bücherschränke. Die Möbel und Ornamente werden im Winter abgedeckt, bis das Haus wieder für Besuchende geöffnet wird.

Alle die 4000 Bücher von ca. 1750 bis 1900 müssen gepflegt werden. Es ist staubig, es kann Schimmel geben oder Insektenfraß. Auch das Silberfischchen mampft sich bei genügend hoher Luftfeuchtigkeit gerne durch alte Seiten.

Da komme ich ins Spiel. Diese alten Häuser benötigen viel Pflege, es gibt Personal, aber noch mehr Freiwillige, die im Garten helfen, im Empfang oder in der Konservierung. Als “Belohnung” gibt es Tee und Kekse und freien Eintritt in alle Hunderte Besitzungen der National Trust Stiftung. Ich habe mich als Buchputzerin gemeldet und darf nun in diesem schönen (und wegen der Bücher angenehm temperierten) Raum arbeiten.

Die Bücher sollen nicht mehr als 90 Grad geöffnet werden.

Zuerst werden die Bücher mit einer Taschenlampe auf Schimmel untersucht. Wenn sie nur staubig sind, werden sie von außen und auf den Umschlaginnenseiten mit Ponyhaarpinseln abgestaubt. Der Museumsstaubsauger mit der Mullbinde am Rüssel fängt den Staub ein.
Mit Schimmel befallene Bücher werden in ähnlicher Weise, aber mit Maske, Handschuhen und besonderen Pinseln und einem Schimmelstaubsauger gepflegt. Alle Auffälligkeiten und Abweichungen von der letzten Reinigung werden in Listen notiert.

Die Bibliothek ist nicht nach Alphabet oder thematisch sortiert, sondern jedes Regal hat einen Buchstaben, jedes Regalbrett eine Zahl und jedes Buch in einem Brett erhält die Zahl in der Reihe. Dieses System wurde vor langer Zeit mit Bleistift in die Bücher eingetragen und ist sehr effektiv. Ein Band könnte also die Nummer J/3/15 haben, Regal J, drittes Brett von oben, das fünfzehnte in der Reihe, es ist eindeutig zuzuordnen. Die Regale werden ähnlich wie die Bücher mit Pinseln und Staubsaugern gereinigt. Wenn Schimmel im Spiel ist, kommt noch Alkohol hinzu.

Lesestoff der gehobenen Gesellschaft

Es gibt viel Mehrbändiges abzustauben, etwa die Geschichte aller englischen Grafschaften oder Gedichte aus den letzten Jahrhunderten. Theaterstücke oder die Gesamtwerke von Jonathan Swift oder Horaz. Es gibt Almanache (Kalenderbüchlein) und Predigten, die sich mit Gottesbeweisen befassen. Es gibt viele Bände von Briefen, z.B. von einer Französin mit Voltaire oder einem Lord mit seinem Sohn, der sich auf der Grande Tour, der Bildungsreise der jungen Männer, in Europa befindet. Der Vater schickt ihm sogar Hausaufgaben: Er erzählt auf Französisch eine Geschichte aus der Römerzeit und der Sohn soll sie in seinem Antwortbrief übersetzen. Überhaupt, die Klassiker. Die sind alle vorhanden. Auf Englisch oder im Lateinischen Original. Die Griechen sind übersetzt, doch man war mindestens dreisprachig. Englisch, Französisch und Latein.

Natürlich durfte Shakespeare nicht fehlen.

Ausgabe in drei Bänden von 1790.

Das Geschäft mit Büchern florierte, nachdem immer mehr Menschen Lesen konnten. Dennoch war es übliche Geschäftspraxis, zuerst für Kundschaft zu werben und dann mit dem vorher eingenommenen Geld entsprechende Auflagen zu drucken. So auch mit dem obigen Shakespeare. Ungewöhnlich hier, dass die Erstbeziehenen im Buch genannt werden – namentlich. Und auch die Namen etlicher Buchhandlungen, die vorbestellt hatten, sind vermerkt.

Auf der linken Liste kann man sehen, wie wichtig Titel waren. Wenn man nicht gerade ein Marquis oder ein Bischof war (rechte Spalte oben), dann wenigstens ein Esquire (Landjunker), ein Hochwohlgeboren oder eine Lady.

Auf dem rechten Bild sind Haydon und Sohn vermerkt, Buchhändler in Plymouth, die drei Kopien vorbestellt hatten. Man kann davon ausgehen, dass eine dieser drei Kopien genau dieses Exemplar ist.

Es sind diese Kleinigkeiten wie die Vorstellung, dass ein Diener der Plymouther Buchhandlung an einem Tag im Jahr 1790 die Shakespearebände geliefert hat, oder wurden sie sogar abgeholt und bei der Gelegenheit noch ein paar andere Bücher bei Haydon und Sohn erworben? Oder es sind handschriftliche Anmerkungen, die diese Bibliothek lebendig machen. Beim Stöbern fällt auf, wie vieles auch heute noch gut zu lesen ist oder was früher für Bildung oder auch als Unterhaltung geschätzt wurde. Die Abende waren lang …

Kratzen am Urgestein – Dorset

Ich stehe auf dem durch die aufkommende Flut sehr schmal gewordenen Strand in Lyme Regis und sehe die 30 Meter hohe Wand hoch. Instabil geschichtet über mir liegen weltbekannte Gesteinsablagerungen. Das Dunkle ist feinster Ton, gemischt mit mooriger Erde. Organisch. Ein Material, das schwer von den Händen abzuwaschen ist. Batz halt … Das helle ist Kalkstein, Lias genannt oder Schwarzer Jura. Nach jeder Flut gibt es bröselfrische Fossilien aus der abblätternden Wand. Gegraben darf nicht werden, was herunterfällt, darf jedoch untersucht werden. Wenn man nicht vorher einen Stein auf den Kopf bekommt. Einfacher geht das Finden im Rahmen einer Führung, doch dazu ist keine Zeit an diesem Wochenende (K Schach und Besichtigungen, ich nur Besichtigungen).
Hier in Lyme Regis befindet sich der Teil der Juraküste, the Jurassic Coast, die knapp 200 Millionen Jahre alt ist, doch die gesamte Küste umfängt noch ältere und auch neuere geologische Abschnitte. Kein Wunder, dass hier die Wiege der Paläontologie (Altkunde) zu finden ist, viel Information auf kleiner Fläche stehen zur Verfügung und starren einem ins Gesicht, bis man anfängt, die Puzzlesteine zusammenzufügen.

Lyme Regis wurde besonders durch Mary Anning, oben im Bild, bekannt, geboren 1799, die aus einem armen Haushalt kam, der sich mit Fossilienverkauf ein Zubrot verdiente. Sie begann als eine der ersten Menschen, diese Funde wissenschaftlich aufzuarbeiten, was offiziell nicht besonders anerkannt wurde, außer unter der Hand, denn sie war eine Frau und kam aus der falschen gesellschaftlichen Klasse. Heute gilt sie als eine Begründer:innen der modernen Paläontologie.

Fossilien kaufen wäre nicht teuer, für ein paar Pfund bekommt man einen kleinen Ammoniten (diese gekringelten Schalen).

Wir sind in Dorset, angrenzend an Ostdevon und verbringen das Wochenende in Weymouth. Hier gibt es weniger Fossilien als in Lyme Regis, doch ist der Sand geeignet zum Figurenschnitzen. Nur Sand und Wasser werden in Blöcke gepresst, aus denen später dann Skulpturen herausgeschnitten werden. Pur oder nur mit einem feinen Lack überzogen sollen die Figuren ein Jahr lang im Freien halten. Auch hier ist eine besondere Geologie im Spiel. Die Sandkörner von Weymouth fühlen sich puderzuckerfein an, sind aber kantig, im Gegensatz zu rund. Pressen mit Wasser “verbäckt” sie in Schichten, die Körner verhaken sich und bleiben relativ stabil.

In der Sandschutzmuschel kann man Prince King Charles bewundern. Leider werden im Moment um diese Muschel mit Baggern keine Sandberge für künftige Künstler:innen aufgetürmt, sondern Hindernisse für ein Motocross Treffen am Sonntag.

Es gibt noch mehr Könige her, zu nennen ist vor allem George III., der den Ort ab 1789 (ungefähr) urlaubstauglich gemacht hat, indem er zu Besuch gekommen ist. Zum Dank für die Stadtentwicklung gibt es eine kolossale Statue von ihm, nach dem der Busbahnhof benannt ist. Man findet schnell heraus, wo das ist: King’s Statue. Es ist die Endhaltestelle aller Buslinien, und wir nutzen den Öffi auch gerne.

Blau und Blau
Im Mittelpunkt der Promenade: eine Uhr zu Ehren von Königin Victoria.

Chesil Beach

Eine geologische Sensation jagt die nächste an dieser Küste. Finden wir. Ein kurzer künstlicher Damm führt nach Portland, einer nahe gelegenen Kalksteininsel, deren Steinbrüche halb London ihr charakteristisches Gesicht gegeben haben. St Paul’s Cathedral ist aus Portlandstein erbaut, genauso wie Buckingham Palace. Es gibt aber auch jüngere Beispiele, so die Vereinten Nationen in New York. Portlandstein wird bis heute abgebaut, ist aber teuer.

Portland, die Insel, ist auf natürliche Weise mit Dorset verbunden, aber eigentlich erst 29 km weiter westlich, über Chesil Beach. Dieser Kiesstrand bildet einen feinen Bogen vor diesem Küstenabschnitt. Wirkt so perfekt, als könne er nur künstlich sein, doch solche Kiesstrände gibt, wenn auch selten, auf der Welt, wenn auch die Ursachen für diese Ablagerungen noch nicht vollständig geklärt sind. Möglicherweise spielen schwankende Meeresspiegel in Eiszeiten eine Rolle.

Ein NASA Satelittenbild auf Wikipedia zeigt die Lage von oben: Portlandinsel, Chesil Beach, rechts oben die Bucht von Weymouth.
Dorchester, Verwaltungssitz von Dorset

Tess von den d’Urbervilles, eine sozialkritische Tragödie, ein brillantes Buch, ist eines von Thomas Hardys bekanntesten Werken und hier war er daheim. Da er gelernter Architekt war, entwarf er sein eigenes Haus, Max Gate. Ein gemütliches Wohnhaus von 1874, umringt von Bäumen und einem großen Garten. Es kann erst seit wenigen Jahren besichtigt werden, da es bis vor kurzem laut Vertrag mittels Mieteinnahmen für die Nachwelt erhalten wurde. Seit 2011 sorgen Eintrittsgelder erfolgreich für die andauernde Konservierung. Hardy war ein Popstar seiner Zeit, vorbeikommende Menschen wollten einen Blick auf ihn erhaschen, Busse hielten extra dafür an. Hardy aber wollte nur mit angekündigten Gästen Zeit verbringen und pflanzte immer höhere Hecken. Heutzutage dürfen wir alle endlich ins Haus und stören ihn auch nicht mehr.

Neben Hardy gibt es in dem hübschen, wenn auch unscheinbaren Städtchen Dorchester ein Museum, das Land und Leute von heute bis in die Urzeit darstellt.

Scherz in Klaus Schachhotel: Warnung. Unbeaufsichtigte Kinder bekommen einen Espresso, eine Schüssel Zucker und einen niedlichen Hundewelpen geschenkt. (… Dann werden die aufgedrehten Kleinen den Eltern wieder übergeben. Damit wird gedroht.)

Zwillingsstädte

Brest (Bretagne) und Plymouth als Partnerstädte, das passt wie angegossen. Beides sind größere Hafenstädte mit einer starken Marinepräsenz. Sie haben Bombardements im zweiten Weltkrieg erfahren, manchmal von feindlichen Kräften, manchmal von freundlichen Befreiern, das auch in den Innenstädten viel zerstört hat. Die Lage an einer natürlichen Bucht, die vom Meer und mehreren Flüssen gespeist wird, ist ähnlich, das Klima ist mild. Gut, die eine liegt in Frankreich, die andere in England, doch nicht weit auseinander, man kann einen regen Austausch pflegen.

Und das wird auch gemacht. Zweimal im Jahr, einmal hüben, einmal drüben, gibt es Besuch. Unsere neue französische Freundin haben wir im Mai in Plymouth kennen gelernt und beherbergt, nun ist es an mir (ohne K), den Besuch zu erwidern.

Es ist das erste Jahr seit Covid, in dem diese Besuche wieder stattfinden. Im 60. Jahr der Partnerschaft wird die persönliche und offizielle Beziehung nicht aufgegeben. Es gibt alte Hasen und Neulinge in der Gruppe, ein Interesse an Kunst und Musik verbindet viele davon. Ja, wir haben Musiker:innen und Sänger:innen auf beiden Seiten, es wird wieder viel getanzt und gesungen werden, meistens im Folkorebereich, Seemannslieder z.B. Auch ich werde im Quartett singen, schließlich habe ich drei meiner alten Chorfreundinnen für den Austausch rekrutiert. Unser Repertoire ist etwas eingeschränkt, denn wir singen alle in der derselben tiefen Stimmlage, deshalb könne wir nicht mit vokaler Harmonie dienen, doch unter anderem mit einem neuen See-frauenlied, das eine weitere Frau sus dem Chor komponiert hat. Es handelt von den Fischersfrauen, die am Hafen stehen und warten, dass die Männer mit dem Fang anlanden. Dann geht die Arbeit los: ausnehmen, salzen, einlegen, stundenlang. Und dann wieder warten.

Ich bin, wenn man so will, Mitglied der Untergruppe Buchclub, wir treffen uns ein- bis zweimal im Jahr über Zoom und besprechen (auf Englisch) ein Buch, das eine der Seiten ausgewählt hat. Im Rest des Jahres machen die Clubs dann ihr eigenes Ding. Die Gesichter sind mir also in Briefmarkengröße (Zoom ….) bereits vertraut und im Mai habe ich einige persönlich kennen lernen dürfen, auch meine Gastgeberin Andrée ist dabei.

Bei allem, was Brest als Stadt zu bieten hat, die Fürsorge der Gastgebenden war schon mal einmalig. Wir kamen mit der Nachtfähre nach Roscoff, ein Bus für die 45 minütige Weiterfahrt war vorgebucht und unsere erste Station war ein Frühstück in einer Jugendherberge. JuHe klang nicht so spannend, doch wir sind in Frankreich, Architektur wird geschätzt wie gutes Essen. Das moderne Gebäude hat etwas von Bauhaus und lädt uns mit warmen Licht ein, der Treffpunkt war nicht zufällig gewählt.

Das Programm ist pickepackevoll, doch wir haben Zeit für persönliche Wünsche. Meine Gastgeberin weiß, dass ich gerne schwimme. Sobald sie festgestellt hat, dass ich meine Sachen mitgebracht habe, sogar ein kleines Handtuch, schlage ich vor, der geeignetste Augenblick des Wochenendes sei: jetzt. Wir waren noch nicht einmal in ihrer Wohnung und schon geht es an den Strand.

Die Bucht von Brest, die Stadt liegt auf der rechten Seite.

Wir sind nicht alleine. Die Gastgebenden haben sich in Klein- und Freundschaftsgruppen zusammengetan, viel wird zu viert oder zu sechst unternommen, Autos werden voll gepackt, es ist viel Sorgfalt in die Vorbereitung gesteckt worden.

Am Strand sehen wir Gruppen von Menschen in Neoprenanzügen. Das ist der Trend in Frankreich: Longe-Côte oder Aktives Wasserwandern. Im flachen Wasser gehen, eine Art Wassergymnastik gegen den Widerstand des Meeres.

Wir müssen uns eilen, wir haben noch viel vor: eine Autofahrt bringt uns zu einem Küstenort, in dem wir ein Dreigängemenü zu uns nehmen, während sich die 70, 80 Häupter große Gruppe fleißig auf Englisch, Französisch und sogar Deutsch unterhält. Die Gruppe beinhaltet viele Sprachfreund:innen, die alles lernen, was ihnen unter die Finger kommt. Es ist ganz gut laut. Die anschließende Wanderung an der bildschönen Küste wird etwas ruhiger. Sie führt uns zu einem Café mit Buchhandlung, der passend benannten Librarie des Voyageurs, Buchhandlung der Reisenden, die ausschließlich Reiseliteratur (nicht Reiseführer) im Angebot hat.

Nach einem Gespräch mit dem Gastronomen ist der Tag noch lange nicht zu Ende, wir werden im Rathaus von Brest mit einem Cidre- und Sektempfang geehrt (Reden gibt es auch) und dann geht es in kleiner Runde in ein Restaurant mit Hafenblick zum Abendessen. Wollten die Gastgeberinnen sowieso mal ausprobieren … Essen tun wir genügend.

Aus dem Restaurant Blick über die Boote im Jachthafen

Am Samstag treten wir in einem ehemaligen Militärarsenal auf, das Napoleons Prachtbarke ausstellt, besuchen in kleiner Anzahl einen Gemeinschaftsgarten, der inmitten von viel Grün und Wald eine erstaunliche Menge von Gemüse versteckt hat (Samstag ist der Arbeitstag, bei dem auch geerntet wird). Abends dann das gemeinsame Abendessen, gefolgt von Musik und Tanz à la Bretagne – in Reihe mit eingehakten Fingern. Das Ganze lebt vom Engagement vieler, der Vorbereitungsgruppe, die liebevoll dekoriert hat und das – natürlich viergängige – Essen organisiert hat, und den Künstler:innen aus beiden Ländern, die der Sache noch mehr Schwung geben.

Auftritt im Arsenal
Napoleons Zeremonienschiff mit Deckenspiegel, damit man bequem das Innere sehen kann.

Der Abschied am Sonntag vormittag ist herzlich. Wir haben längst nicht alle Sehenswürdigkeiten gesehen, doch durften wir ein Stück privates Frankreich erleben, die Wohnungen der Gastgebenden, zufällige Begegnungen mit deren Bekannten auf der Straße, Einkaufen auf dem Wochenmarkt …

Wir fahren müde, doch voller Freude wieder nach Hause. Bis zum nächsten Mal.

Hand verzierte Gläser mit der Beschriftung 60 Jahre Partnerschaft (Twinning) als Gastgeschenk für die Engländer:innen, also auch für mich. Die Farben rot-blau-weiß in den Tupfen sind nicht zufällig: beider Länder Flaggen bestehen aus diesen Farben.

Von der Insel auf die Insel(n)

Die Scillies tauchen am Horizont auf.

In Plymouth gibt es genau zwei Arten von Leuten. Welche, die schon auf den Isles of Scilly gewesen sind und davon schwärmen. Und welche, die schon lange mal hinfahren wollten. Wir machen die Probe aufs Exempel und sehen sie uns an. Dazu müssen wir bis an die Spitze Cornwalls vordringen und anschließend irgendwie übers Wasser kommen. Wir gönnen uns einen 20-minütigen Hubschrauberflug. Bei gutem Wetter, wie wir es hatten, ist das wie Busfahren. Reibungslos. Schwerelos. Allerdings der lauteste und teuerste Bus, den ich je benutzt habe. Zu meinem Erstaunen lohnt sich das Erlebnis. Hubschrauber fliegen ist knorke!

Eine Sikorski, falls das jemand wissen will.

Wer sich die Karte ansieht, dem fallen die vielen Inseln auf, in die die Scillies zerfallen. Manche sind nur bei Flut getrennt, bei Ebbe gibt es also noch mehr davon. Es handelt sich bei der Gruppe um Granitmassive, deren geologische Stränge unterirdisch nach Osten weiterlaufen und z.B. als unser gutes altes Dartmoor nördlich von Plymouth wieder auftauchen.

Inselleben ist gemütlich. Es gibt Autos, aber viele fahren Rad oder Boot oder gehen zu Fuß oder es gibt elektrische Art Golf-Carts zu mieten. Die Scillies sind jedoch kein Ökoparadies, jede der vier bewohnten Inseln hat ein Ölkraftwerk, mit dem Elektrizität erzeugt wird, wenn nicht genügend über das Unterseekabel von Cornwall herüberkommt. Manchmal werden sie dann sogar angeworfen, um nach Cornwall zu exportieren.

Jede Insel ist anders, es lohnt, sie einzeln aufzusuchen. St. Mary’s, die Hauptinsel, hat Dorfcharme. St. Agnes hat echte Bauernhöfe und richtig gutes Milcheis. Tresco ist wie ein großer (und teurer) Park und hat konsequenterweise auch einen halb tropischen Garten zu besichtigen, die Abbey Gardens.

Furcraea parmenteri in Blüte. Moment! War da nicht was gewesen? Die ebenso wunderschöne Furcraea longaeva hatten wir früher kennen gelernt, die war nicht-blühend anwesend. Beide Pflanzen blühen nur alle 15-20 Jahre und sterben dann ab. Wir werden noch Furcraea-Spezis, ein besonderes Schmankerl für Grün-Freund:innen.

2200 Menschen leben auf den Scillies und die meisten vom Tourismus. Dieser Tourismus kommt zum großen Teil nicht von weither, sondern aus dem West Country. Das sind Cornwall und Devon. Dabei sieht es dort teilweise ähnlich aus. Aber die Scillies ziehen an und viele kommen seit Jahrzehnten, hatten vielleicht Familie hier. Man kann viel erfahren, wenn man auf Bootsfahrten einfach zuhört, was die Gäste mit den Bootsführern bereden und wie das alles zusammenhängt. Denn wenn man jemanden auf der Insel persönlich kennt, kennt man gleich fast alle. Die Scillies sind also ein lokaler Geheimtipp.

Ich kenne niemanden, aber durch meine Glockenläuterei erhalte ich immer Zugang zu Orten, wo nicht alle hinkommen. Die 8 Glocken von St. Mary’s the Virgin auf St. Mary’s sind sehr gut gepflegt und die Läutenden sind nicht Insulaner:innen gewohnt, die einfach vorbeischneien.

Man kann sagen, es ist sanfter Tourismus, viele Ferienwohnungen, keine Hotelburgen, Campingplätze in atemberaubenden Lagen. Es gibt Inselbier (schmeckt), Inselcider (schmeckt auch), Inselgin (schmeckt auch auch) und die Überbleibsel von Blumenzüchtern, vier sind noch übrig von 70 Betrieben. Das milde Klima erlaubt die Anzucht von hochwertigen Pflanzen, aber die Billigimporte über Holland machen die Arbeit nicht lohnend. Von Ständen am Wegesrand kann man Zwiebeln kaufen (und einiges andere kann man am Wegesrand kaufen). Natürlich musste ich zuschlagen. Man kann nie zu viele Narzissensorten haben und ein paar Amaryllis für das winterliche Fensterbrett klingt nach einem guten Projekt.

Im Hintergrund das helle Haus mit den drei Dachfenstern über dem Friedhofskreuz war unser B&B mit Café. Ein Familienunternehmen, 2 Generationen. Natürlich.
Auf diesem Friedhof liegt Harold Wilson begraben, ein ehemaliger Premierminister und Fan der Scillies.
Die Badebucht, 10 m vor dem B&B. Ein Traumleben.

Was noch? Ja, die Natur natürlich. Buchten mit Stränden von Felsbrockengröße bis Puderzuckerklasse-Sand und alle Grade dazwischen. Hoch- und Tiefmoore und Heidelandschaften. Nette Wanderwege überallhin und vor allem an den Küsten entlang. Dazu die Auswahl: auf die anderen bewohnten Inseln kann man täglich mit Booten fahren, die als Busse fungieren. Wieder mal Busse, die keine sind. Ein weiterer Unterschied zu Bussen ist, dass manche Anlegestellen bei Niedrigwasser getauscht werden müssen und nicht, weil die Gegenhaltestelle halt auf der anderen Straßenseite läge. Dann muss man woanders zusteigen als man ausgestiegen ist. Aber eben nur, wenn die Tide das erfordert. Die Rückfahrzeiten und -orte werden beim Aussteigen verkündet. Für Neulinge ist es besser, sich das zu notieren, es wird aber bald Routine.

Auffällig viele Männer in dunkler Kleidung sind zu sehen. Sie treten einzeln oder in Horden auf. An ihren Hälsen hängen meterlange Teleskoplinsen, manchmal in Tarnmustern. Sie nicht nicht besonders gesprächig und sehr konzentriert = wir haben noch nirgends so viele Vogelfreunde auf einem Haufen gesehen. Wir bleiben bei den Spatzen. Die Möwen fressen einem nicht die Fritten aus der Hand, aber die Scharen von Spatzen lauern nur darauf, bis man den Kuchenteller unbewacht lässt. Als wir den Teller mit Krümeln ihnen überlassen haben, waren die in Sekunden weg. Ein Schelm, wer nicht an Hitchcocks Die Vögel denkt!

Wanderbare Steinzeugen.

Die Scillies sind seit Jahrtausenden besiedelt. Nach allem, was die Archäologie herausgefunden hat, von gesunden, wohlhabenden (zu sehen an Handelswaren) Menschen. Ob sie zufrieden waren, weiß man natürlich nicht, aber ihre Voraussetzungen waren nicht schlecht.

Die frühesten Besiedler:innen haben Menhire (Obelixens Hinkelsteine) aufgestellt, wie in der Bretagne und im übrigen Cornwall. Sind wie eine Postkarte aus der Vergangenheit. Ohne Briefmarke, aber wasserfest.

Zurück ging es klassisch mit der Fähre Scillonian III. Ein 43 Jahre alter Seelenverkäufer, auf dem man am besten auf Deck mitfährt, damit einem eher nicht schlecht wird. So ein Insidertipp. Außerdem kann man dort die Delfine beobachten, die immer wieder mit der Bugwelle spielen. Die Fahrt war nicht so schlimm;-)

Wir sind jetzt in der Gruppe der Plymouthians, die auf den Scillies waren und es toll fanden.

Ohne E-Rad in die Bretagne

Man kann nicht sagen, ich wäre gegen Radfahren. Seit 50 Jahren, oder sind es schon 51?, düse ich ohne Parkplatzsorgen durch die Gegend und keine Baustelle kann mich abhalten: schiebend geht immer was.

Am Strand von Pors-Meur, Bretagne

Die Erinnerung an das erste Rad mit Stützrädern ist noch vorhanden, es war graublau und ein Familienrad: wir alle 3 Kinder lernten, soweit ich weiß, darauf das Radeln. Es war sehr aufregend. Ich erinnere mich an meine Sorge, wie ich ohne die Stützen auskommen sollte. Ein elterlicher Arm war zur Stelle, der kam aber nur von einer Seite, dann die wackelige erste Alleinfahrt auf der Hauseinfahrt. Nach dem ersten Zaudern wurde Radeln dann schnell Routine.

Die letzten Stürze ohne Fremdeinwirkung hatte ich an der Ecke zur Ladenbergstraße, da war ich weit über 10 Jahre alt und später dann, so mit 14, eines Winters auf einer von der Streumaschine übersehenen Eisplatte. Das rechte Knie hat lange weh getan, Schlimmes passiert ist nicht.

Viel später wurde ich 2x von Autos vom Rad geholt, mit, trotz in der Bevölkerung verbreiteten Vorurteilen gegen Radelnde, 0% eigenem Verschulden, Fahrerin und Fahrer, respektive, hatten geschlafen.
Das kann man nicht voraussehen, weil man meist nur das Nichtschlafen der anderen spürt, die Aufgeregtheit, die Aggression, auch die Unsicherheit. Das findet sich nur vereinzelt, natürlich läuft das Miteinander im Verkehr meistens reibungslos bis freundlich und respektvoll. Umso mehr wird man sensibilisiert für unsichtbare Blicke hinter Glasscheiben, die einen als Hindernis sehen. „Ich bin wichtig, ich bin richtig auf der Straße, warum radelt da jemand? Unverschämtheit.“ Ich bin schon richtig übel beschimpft worden, weil ich mir ganz normale Rechte als Verkehrsteilnehmerin auch genommen habe. Sehr unangenehm, doch dies ist in den UK und in D die Ausnahme.

Oder die unwissenden Autos, die „rücksichtsvoll“ sein wollen mittels sehr schnellen Überholens. Meist, ohne die 1,5 Meter Mindestabstand einzuhalten. Diese Leute haben nie erfahren, dass das Geräusch eines sich beschleunigenden Motors einer radelnden Person KEIN Vertrauen einflößt.

Natürlich treffe ich manchmal selbst Fehleinschätzungen, z.B. beim Abbiegen. Man lernt, es nicht zu knapp zu nehmen, lieber großzügig zu schätzen.

Vor Ort

Plymouth ist steil, Radelnde in der Minderzahl, eine gewisse Fitness kann nicht schaden, oder, der neueste Trend, ein E-Rad. Ein solches habe ich nicht, ich versuche es nach wie vor mit Fitness. Seit einem halben Jahr gibt es E-Leihräder, die sich großer Beliebtheit erfreuen. Immer wenn ich an den Andockstellen vorbeikomme, hat sich das Bild verändert: es sind mehr oder weniger Fahrräder in den Aufladestationen. Ein Rowdieproblem gibt es auch nicht: die Räder sind klein, eignen sich nicht für waghalsige Manöver und wer das Rad woanders stehen lassen würde, dessen Gelduhr würde einfach weiterlaufen und das will auch niemand. Bisher sehe ich nur Männer auf den Rädern. Zufall?

Leider kann man von Autos nicht immer behaupten, da gäbe es keine Rowdies. Wenn Fahrende sich aggressiv oder merkwürdig verhalten, dann sind es in der forschen Gruppe klischeemäßig überproportional die üblichen Verdächtigen: BMW und Audis. Und sehr junge Männer in Autos, die ihnen bestimmt nicht selbst gehören. Dagegen bei den Autos, die sich schlingernd durch die Straßen bewegen, abbremsen, wenn es nichts zu bremsen gibt, überholen, zurückfallen, merkwürdige Ausfahrten nehmen, die sie später (leider) wieder auf meinen Weg zurückbringen, handelt es sich zwar manchmal, aber nicht unbedingt, um betagte Fahrer mit Hut, sondern häufig um junge Frauen in Kleinstautos. Die stören sich nicht an Rädern, die sind einfach allgemein nicht verkehrstüchtig, haben den Führerschein vielleicht in einer Modezeitschrift gemacht? Das ist böse, ich weiß, aber sie verunsichern durch ihr Verhalten. Man ist froh, wenn sie endlich wissen, wo sie hinwollen und dies ist in eine andere Richtung als man selbst.

Insgesamt: die Teilnehmenden am Verkehr sind nicht so übel, die Verkehrsplanung ist es. Keine Fahrradwege oder Fahrradwege im Dauerholperzustand neben frisch geteerten Autofahrbahnen, Schilder, die ins Nichts führen, ungeschnittene Hecken. Solche kopflosen Sachen.

Die Zahl der privaten E-Bikes aller Stärken hat seit der Pandemie stark zugenommen. Es sind dunkel gekleidete Männer, die Essen ausfahren. Sie flitzen herum, doch darüber kann sich nun niemand beschweren, da ein hoher Anteil der Bevölkerung ihre Dienste in Anspruch nimmt, ein weitaus höherer als z.B. die der klassischen Fahrradkuriere, die Dokumente von Anwalt zu Klientin chauffieren. Die Essenskuriere könnten die Toleranz gegenüber Radelnden erhöhen, denn sie etablieren Räder im Straßenbild.

E-Bike gegen Normalrad

Ich habe einen Probeausflug mit K. gemacht. Ich auf Rad, er auf E-Rad. Erst über Hauptstraßen, für mich eine Routine, schnell durch, nicht drüber nachdenken müssen, aber halt nicht szenisch aufregend. Für K: langsam angehen lassen. Sobald es landschaftlich schön wurde, kam die Steigung. Nur eine geringe, aber Meilen lang. Anstatt die Szenerie zu genießen, schaltete ich auf den inneren „mühsam ernährt sich das Eichhörnchen“ Modus. K dagegen fuhr (natürlich) im gleichen Tempo wie vorher weiter und verschwand hinter den nächsten Hecken.

Am Ziel war er frisch und ich erschöpft. Verständlich, aber unbefriedigend für beide Seiten.

Kein guter Testlauf, doch wie sieht es mit Radeln in der Bretagne aus, das war unser nächstes Ziel und radelnde Freunde erwarteten uns dort auch? Keine langen Touren waren geplant, doch ich habe erst mal abgewunken. Dort hätte ich es mit bis zu 3 Männern auf E-Rädern zu tun gehabt. Doch auch hier ein Testlauf: 2 E-Räder und ich fuhren 20 km in eine Stadt. Das ging sehr gut, weil nach den 20 km kam eine große Rast. Fast alles Nebenstraßen, Radeln nebeneinander, Quatschen, ich habe den Unterschied gar nicht bemerkt.

Das hat mich motiviert, eine größere Tour anzupacken mit nun 3 Männern. Es war der heißeste Tag des Aufenthalts, ich war fitter als mindestens zwei von ihnen und letztendlich wurden es nur 60 km. Eine Riesentour ist das nicht und sie war schön. Dennoch musste ich mich nachher eine Stunde regenerieren, um wieder wie neu zu sein, die anderen mussten das nicht.

Fazit: woran lag das? An eben dem, was mit K passiert war: E-Radeln geht, wenn man das möchte, in gleichmäßigem Tempo bergauf- bergab, auf der Ebene. Klassisches Radeln ist organisch, mal langsam, mal schnell, irgendwas dazwischen. Wind und Wetter spielen eine größere Rolle. Auch bei Rücksichtnahme der E-Radelnden hat man einen anderen Rhythmus.

Bretagne

Enttäuscht nie.

Ein entspanntes Bier, noch während der Hafen von Plymouth vorbeizieht = 5 Minuten nach der Abfahrt. Die Radelnden sind immer die ersten an der Bar, denn die werden als ziemlich erste aufs Schiff gelassen.
Karibikgefühl an der Côte des Légendes, der Küste der Geschichten
Weg zum morgendlichen Bad.
Im Hintergrund schieben sie Plymouth Sund vorbei, der Hafen ist nicht weit, doch die kurze Einfahrt über markierte Bahnen ist langsam und dauert noch mindestens eine halbe Stunde.

Die geduldige Pflanze

Sieht man nicht alle Tage, selbst wenn man eines dieser Pflänzchen hochgezogen hat: Furcraea longaeva ist ein Agavengewächs, aber was für eines: 3-4 m hoch und sieht aus wie ein filigraner Springbrunnen mit Hularöckchen.
Die riesigen Blütenstände enwickeln sich nur einmal, am Ende des Lebens einer Pflanze und das dauert 10 Jahre oder länger, deshalb ist eine blühende Furcraea longaeva nur selten zu betrachten und eine kleine Sensation. Furcraea kommt von einem Botanikernamen, longaeva heißt langlebig.

Die Furcraeas stehen in Overbecks Garten, einem kleinen, aber superfeinen subtropischen Kleinod an der süddevonischen Küste bei Salcombe. Salcombe ist berühmt-berüchtigt, weil es fast ausschließlich aus Zweitwohnungen besteht. Wobei Zweitwohnungen irreführend ist, Zweitvillas ist der richtigere Ausdruck.

An den kleinen Strand dürfen aber alle hin und ins Wasser ist sowieso kostenlos.

Overbecks Garten, benannt nach einem der Eigentümer, Otto Overbeck, besteht seit über 100 Jahren und wurde von allen Eigentümern mit Blick auf die Gartengestaltung bewirtschaftet. Da das Klima hier besonders mild ist und die Lage sehr geschützt, können Bananenstauden wachsen, Palmen, Orangen, Oliven … alles möglich ohne Gewächshaus.

Wassertaxi ahoi

Von Salcombe Südstrand nach Salcombe Innen’stadt’, beides auf derselben Seite des Ästuars gelegen, kann man mit Hilfe einer Fähre gelangen. Das coolste Ding überhaupt. Man klettert auf das überdachte Vehikel, das aussieht wie ein Partybollerwagen, wie man ihn manchmal mit bierlustigen Leuten besetzt auf Landstraßen in Deutschland antrifft. Dieses fährt mit Hilfe eines kleinen Motors ins flache Wasser und wartet dort auf eine kleine Fähre, die die Passagiere übernimmt. Ein Salcombe üblicher Preis: 4,75 Pfund einfach! Die Fahrt kann nicht lange dauern und man erreicht nicht einmal die einladenden Strände am anderen Ufer. Die Fähre ist populär, wegen des Preises steigen wir aber nicht ein. Mit Blick auf die Details: Die linke Fahne ist die von Devon, Hunde dürfen umsonst mit.

Nochmals die Furcraea, die hat uns in dieses Paradies gelockt.
Blick zurück vom Küstenwanderweg

Zu Besuch bei Franz Kafka

Eine Waschmaschinensaga

Welche zivilisatorische Errungenschaft hat das Leben der Menschen am meisten erleichtert? Selbstverständlich lautet die Antwort: die Waschmaschine. Waschtage, ganze TAGE haben die Wochen von Frauen versaut! Weniger Technik und nicht pflegeleichte Textilien machten die Arbeit zur zeitraubenden Schwerstarbeit.

Als wir kürzlich innerhalb Plymouth umziehen mussten (Haus wurde verkauft), benötigten wir zum ersten Mal in den UK eine eigene Waschmaschine. In den beiden Vorgängerhäusern war der Bedarf gedeckt. Im dritten Haus war der Platz neben der Spüle leer.

Was treibt den modernen Waschmaschinenmarkt an? Energieklassen, Schleuderzahlen, Füllmengen, alles wie gehabt. Das Neueste sind WLAN fähige Maschinen, die man von überall in der Welt anschalten kann, solange die Trommel vorher geschlossen wurde. Für uns wichtiger: leise soll sie sein, Energieklasse A haben und Schleudern bei 1600, damit nicht ewig feuchte Wäsche im Haus steht, wenn man draußen nicht trocknen kann. Es gibt jetzt sogar verschiedene Farben … okay, vielleicht nicht das Wichtigste, aber man sieht die Maschine jeden Tag.

Wir haben uns für eine Hoover entschieden, gute Bewertungen, gute Bauteile, jedenfalls in ihrer 500er Klasse. Billiger als Miele und doch immer noch eine Stange Geld. Soll ja lange halten. Unsere Mietwohnungseinbauküche ist so ein trauriges braunes Modell, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben Papier gekauft hatte, um die Schränke auszulegen, damit man wenigstens innen ein bisschen Fröhlichkeit sieht. Die Spritzschutzfliesen dagegen sind schwarz gesprenkelt und von guter Qualität. Eine schwarze oder graue Maschine würde den Raum aufwerten, die Modelle sind aber teurer als die weißen. Erst mal abwarten. Als es ernst wird, gibt es die graphitgraue im Angebot, was für ein Glück. Bestellen, Liefertermin ausmachen und DAS ENDE.
Ja, fast, denn nun erleben wir eine dieser Geschichten, von denen man hofft, sie passierten nur anderen:

Der Liefertermin ist ein Tag vor meinen großen Chorwochenende. Ich freute mich seit Wochen darauf, ein kleiner Urlaub nach der ganzen Umzieherei, perfekt. Am Nachmittag kommt dann ein Anruf: Laster ist verreckt, kommen morgen vor 10 Uhr. Da bin ich längst auf der Autobahn, K muss ran. Ich sitze im Reisebus, frage nach: schon jemand da? Um fünf vor 10 ist noch niemand zu sehen und ich finde es nicht in Ordnung, dass die Lieferer im System hinterlegt haben: am Vortag ausgeliefert! Noch kein Grund zu Panik, aber lieber aktiv werden.
Ich gehe mit dem Handy, bei schlechter Internetverbindung, einen Textchat mit der Firma an. Bis ich durch die Identifizierung durch bin, wer bin ich, Bestellnummer, was will ich, vergeht fast eine Stunde, denn auf dem Handy muss ich dauernd Informationen suchen, ohne aus dem Textchat rauszufliegen. Als sie dann einen Fall für mich eröffnen, werden wir getrennt und nun meldet sich K, um 11 sind doch noch zwei Leute angedackelt gekommen, recht leger, die haben die Maschine installiert. Doch die Maschine hat einen Schönheitsschaden, rechts und links im Deckel Macken, die die Funktion nicht beeinträchtigen würden. Wurde uns versichert. Nicht wirklich sichtbar von vorne, sagt Klaus, die Männer wären bereits mit dem Angebot hereingekommen, die Maschine wieder mitzunehmen oder 20 Prozent Rabatt zu geben. Wir beschließen, das Angebot anzunehmen. Nach dem Umzug sind wir froh, etwas sparen zu können und was passiert mit einer unschönen Maschine? Die wird verschrottet, das ist unökologisch.

Nach der Heimkehr wird gewaschen. Die Maschine sieht cool aus und läuft schön leise. Bis sie zum Schleudern kommt. Da klingeln die Gläser, da wandert das Sonnenblumenöl und das Olivenöl in der Glasflasche bekommt Beine. Wasche mit weniger Umdrehungen, das ist besser, aber immer noch vibrationsreich. Ich lege eine Wasserwaage auf die Maschine, ist halbwegs gut kalibriert. Schraube ein wenig an den Standfüßen herum und suche im Internet nach „Waschmaschine vibriert zu viel“. Antivibrierfüße und Dämmmatten werden allerorten angepriesen. Also doch normal? Ich lebe mein ganzes Leben lang, ich Glückliche, mit Waschmaschinen und habe schon viel erlebt mit Billigheimern und Top-Modellen, und noch nie war Vibration ein Problem gewesen. Bei einer Premiummaschine sollte das nicht vorkommen. Zufällig haben wir einen dieser Handwerker im Haus, die von alles eine Ahnung haben, ich lasse ihn kucken. Wir kippen die Maschine, damit er nach den eingebauten Dämpfern sehen kann. Da rollt etwas in der Maschine! Klingt nicht bedrohlich, doch mindestens nach Schlamperei und jetzt wird es mir langsam zu viel. Ungern, aber wiederwillig, begebe ich mich auf den Beschwerdeweg, obwohl ich weiß, wie es enden wird: Die Verkäufer werden alle Probleme auf Hoover schieben, Hoover auf die Verkäufer.

Um eine deutliche Fährte meiner Taten zu legen, beginne ich mit der großen und bekannten Verkäuferfirma und trete in meinen, nach der Lieferverzögerungskommunikation, zweiten Textchat ein. Als ich endlich den richtigen gefunden habe. Zuerst muss man an einem Zerberus vorbei, dem automatischen Chat, also der künstlichen Intelligenz. Mit der KI habe ich gute Erfahrungen bei Routineanfragen diverser Firmen gemacht, doch dies ist keine Routineanfrage. Man muss die KI nerven, indem man mehrmals eintippt: ich will mit einem Mitarbeitenden verbunden werden. Dann kriegt man einen Menschen, in meinem Fall waren es meist freundliche Mitarbeitende in Asien, das ist mir egal, wo die Leute sitzen, ich will Kontakt.
Ich ackere mich wieder durch die Identifikation durch, lasse mich nicht abwimmeln und schlussendlich bekomme ich eine Telefonnummer für den Reparaturservice. Option 2 oder 3. Mhm. Ich wurschtele mich durch ewige Alternativen durch. Nein, ich habe kein Gasleck, also die 2 drücken, ja, das Gerät ist groß, wieder die 2, ist es eine Waschmaschine? Ich erreiche eine englische Dame (Akzent und Name sind hier meine Ratgeber, ich kann auch völlig falsch liegen). Sie entscheidet, meine Geschichte klingt wie ein Fall für den Hersteller. Ich nehme es ihr nicht übel, könnte ja korrekt sein.

Ich mache mich auf die Suche nach dessen Servicenummer, also von Hoover. Zuerst das Gerät dort registrieren. Dachte ich, war dann gar nicht nötig, die glauben einem, dass man noch Garantie hat. Ich erreiche eine Dame mit einem schönen schottischen Akzent, die mich warnt, falls es am Verkäufer liege, könne ich auf einer Rechnung von Hoover sitzen bleiben. Immerhin wurden uns die Transportbolzen !!!????!!! nicht ausgehändigt, das klänge doch schon merkwürdig. Gefällt mir nicht, die Sache mit dem Bezahlen, doch ich bestehe auf einem Handwerkerbesuch. Ich habe ja schon mindestens eine Stunde Recherche und Kontakte investiert, vermutlich länger.
Der Termin findet in 10 Tagen statt, geht das vorwärts hier!

Handwerker kommt, sieht aus, als könne er unter jeden Arm eine Maschine klemmen und damit gemütlich die Straße runtergehen. Das flößt Vertrauen ein. Er hat auch Ahnung, noch mehr Vertrauen. Er öffnet die Maschine, findet einen Plastikbolzen, das war das Geräusch, das wir gehört hatten. Harmlos, aber verdächtig. Der optische Schaden am Deckel hat diesen verzogen, er kann nicht mehr fest angezogen werden. Vermutlich der Grund für das laute Schleudern und die allgemeine Unwucht. Ich frage, ob das so etwas wie ein Unfallwagen sei. Er meint, der Vergleich sei stimmig. Und seine Diagnose lautet: diese Maschine ist eindeutig mal gefallen / runtergefallen, wurde fallen gelassen. Wie es für mich weiter geht, weiß er nicht, er schreibt nur einen Bericht.
Da ich Hoover nichts bezahlen will und wir eine Waschmaschine brauchen und mir die Maschine grundsätzlich zusagt, entscheide ich mich für den Angriff und nicht einfach eine Rückgabe oder das Stillhalten, ich will einen Umtausch.

Ich warte bis zum nächsten Tag, um Energie zu sammeln, um wieder mit dem Verkäufer Kontakt aufzunehmen. Ich gehe in den Chat und mache deutlich, dass unsere Entscheidung, die Maschine mit Schönheitsfehlern zu behalten, aufgrund unzureichender Informationen getroffen wurde, die Maschine hat einen Schaden, ich fühle mich ausgetrickst. Werde auf die Servicenummer verwiesen, dieses Mal soll ich mich anders durchwählen. Ich klicke mich durch den Apparat wie angewiesen, und lande nach Angabe (alles Maschinenstimme), dass ich eine Hoover habe, zu meiner Überraschung beim Hooverservice. Ich erkenne sogar das typische Hintergrundgeräusch dessen Callcenters. Dieses Mal ist es eine andere Dame, die mit mir spricht. Nach wenigen Worten sage ich ihr, ich sei verwirrt, bei Hoover sei ich schon mal gewesen, ich wollte doch beim Verkäufer bleiben. Sie fragt, bei wem ich die Maschine gekauft habe. Als ich antworte, sagt sie, aha, der Trick bei diesem Verkäufer sei, keine Auswahl zu treffen, sondern so lange durchläuten zu lassen, bis jemand rangeht. Ich bin offenbar nicht die erste Person, die erstaunt bei ihnen aufschlägt.

Ich mache mich ran. Ich wähle mich durch, bis keine Rede mehr von Gaslecks ist und probiere verschiedene Varianten aus. Ich erreiche Menschen, die jeweils ihr Bedauern ausdrücken, aber genau die Falschen sind. Sie reparieren Computer, kümmern sich um ältere Maschinen oder um das hauseigene Maschinenversicherungssystem. Ich werde durchgestellt, bis ich rausfliege. Ich wähle mich einmal, zweimal, dreimal ein, es wird sofort abgenommen oder es herrscht Wartemusik. Ich werde Expertin, so viel ist sicher. Jede nur mögliche Situation findet statt. Ich sitze mit den Telefon auf dem Sofa und hangele mich mit einer gewissen morbiden Faszination durch jede kafkaeske Situation, die sich mir bietet. Diese Absurdität hat etwas, was neugierig macht, welcher Schwachsinn da noch auf einen zukommt. Doch irgendwann ist Schluss. Als ich zum zweiten Mal bei derselben Dame herauskomme, die mir schon einmal mitteilen musste, sie kümmere sich um Maschinen, die man vor längerer Zeit erworben hat, zeige ich leichte Anzeichen von Hysterie. Sie versteht die Dringlichkeit und stellt mich irgendwohin durch. Wohin weiß ich nicht. Dieses Mal ist es ein Mann und zum ersten Mal ist die Verbindung für uns beide schlecht. Wir reden nur das Nötigste, er scheint aber Zugriff zum Fallverlauf zu haben. Er gibt mir eine Nummer, die ich bei allen weiteren Kontakten zum Verkäufer nennen solle. Wer ist das? Ich weiß es immer noch nicht. Ich wiederhole die Nummer und wir legen auf.

Zwei Stunden sind vergangen im Gefängnis der Chaträume und Call-Center, ich schwöre mir, nie wieder beim Verkäufer oder überhaupt bei einer Hotline anzurufen. Ich wünschte mir nur, Test-Käuferin zu sein und gut bezahlt zu werden für das hier, leider ist das nicht der Fall.

Ich finde zuallerletzt eine allgemeinste Service E-Mail des Verkäufers und schreibe meine Bestellnummer und die neue Nummer dazu und mache es dringlich. Ich will Lösungen sehen! Schluss für heute.

In der Nacht bekomme ich Antwort. Man bedaure sehr, man sei für IT zuständig, habe mir aber nun eine Fallnummer zugewiesen, damit käme ich weiter. Ich gebe nicht auf, chatte wieder mit ? Indien. Die freundliche Person schreibt mir, man sehe den Fall, doch um einen Umtausch zu erhalten, bräuchte ich von Hoover eine Uplift Nummer, das bedeutet die Bestätigung von Hoover, dass die Maschine schadhaft sei und dann könne im System das alles eingenordet werden. Schon wieder was Neues, aber ich bin ja schlauer geworden die letzten Wochen (oder dressierter, wie man es sehen will). Ich wähle mich wieder durch meine Optionen durch (so viel zum Thema, nie wieder eine Hotline anzurufen) und lande dieses Mal ABSICHTLICH bei Hoover. Die Dame (die dritte, die ich dort kennen lerne, wir sollten uns alle mal auf ein Bier treffen) kann mich anhand der Postleitzahl umstandslos zuordnen und nennt mir auf Nachfrage sofort eine Ziffernfolge. Ich bin erstaunt, aber es ist dieselbe, die mir der freundliche Herr gestern gegeben hatte! Langsam beginnen wenigstens einige Dinge Sinn zu ergeben. Ich gehe wieder in einen Chat, gebe meine mittlerweile aufgeblähte Anzahl an Nummern an, und … alles wird ganz einfach. Hat doch nur 45 Minuten gedauert heute, was will ich eigentlich?
Nach wenigen Tagen – wie angekündigt – erhalte ich eine halbautomatische E-Mail, dass etwas bei mir abgeholt wird und unabhängig dazu eine Textmessage, dass etwas geliefert wird. Am angekündigten Tag erscheinen gleich zu Beginn des angekündigten Zeitfensters zwei gut gelaunte Herren und tauschen die Maschinen aus.

Ich wasche erfolgreich und leise eine Ladung Wäsche – mit 800 Umdrehungen, denn an die 1600 traue ich mich noch nicht ran.