Gestern, heute

Während das politische Schauspiel in Westminster weiterhin erstaunliche Volten schlägt, schauen wir nach, was Leute früher so gemacht haben. Im Wortsinn: gemacht, produziert, gebaut, geprägt.

Der staatlich unterstützte Seeräuber

Zuerst ein Blick in die fernere Vergangenheit: das Haus von Francis Drake. Drakes Persönlichkeit wurde von der enormen Persönlichkeit Elisabeths der Ersten nicht in den Schatten gestellt. Wenn man seine Geschichte liest, gewinnt man den Eindruck, der Haudegen wurde ab dem 16. Jahrhundert nur deshalb erfunden, damit man später fesche Piratenfilme drehen konnte. An die Männer in den kurzen Pluderhosen kann ich mich allerdings nicht gewöhnen. Drake hat die Welt umrundet, die Armada besiegt, Plymouth mit einem Frischwassersystem versorgt …
Er war „a local boy“, ein heimisches Gewächs, aus dem Plymouther Hinterland, allerdings aus einfachen Verhältnissen. Sobald er zu Ruhm, Ehre und viel Geld aufgrund einer Kaperfahrt gelangt war, kaufte er das seinem bescheidenen Elternhaus nächst gelegene Herrenhaus, Buckland Abbey = Abtei.

Die Abtei war erst Jahrzehnte vorher von Heinrich VIII enteignet und zum Wohnhaus umgebaut worden. Sie liegt in einer kühlen, friedlichen, grünen Geländefalte versteckt wie viele Klosterruinen, die man besuchen kann. Es sind häufig Orte mit Atmosphäre. Buckland Abbey ist eine der wenigen, die weiterhin genutzt wurden, die meisten Anlagen wurden als Steinbrüche benutzt.

Der Umbau hat einiges der Substanz der Kirche erhalten, auch wenn es von außen nicht sehr ersichtlich ist.

Die meisten Fotos sind nix geworden, deshalb nur diese zwei:

der erfolgreiche kaufmann

Gehen wir noch ein paar Jahrhunderte zurück, ins Mittelalter. Oder doch nicht?

Dies ist Castle Drogo. Es sieht aus wie eine Mischung aus Bauhaus und 11. Jahrhundert und wurde tatsächlich um 1930 fertig-gestellt. Das neueste und bislang letzte Schloss Großbritanniens. Die Stoßrichtung war klar: eine Burg würdig des Bauherren Vorfahren, einem gewissen Drogo, der mit Willi, dem Eroberer, von Frankreich herüberkam.

Der kleine Schönheitsfehler an der Geschichte ist, der Ahnenforscher hat Murks gebaut: es gibt keinerlei Verwandtschaft mit diesem Drogo oder anderen normannischen Eroberern. Ich weiß nicht, ob der Bauherr davon zu Lebzeiten Kenntnis erhielt. Ich hoffe nicht.

Die Burg jedenfalls ist eine Schau. Sie wurde vom, wie man hört, berühmten Architekten Landseer Lutyens geplant und aus Granitmauern und Betondecken errichtet. Jedes Detail wurde durchdacht. Die Burg gibt vor, aus verschiedenen Epochen zu stammen = jede Generation habe daran weitergebaut. Es finden sich ein normannischer Turm, ein elisabethanischer und ein Anbau mit Dachterrasse im Stil des frühen 19. Jahrhundert. Die handwerkliche Qualität ist vom Feinsten. Bei dem Ganzen wurde auf Proportionen geachtet und es wurde tatsächlich als „Einfamilienhaus“ genutzt, diente nicht nur repräsentativen Zwecken.

Dumm altvordern ist die Anlage jedoch nicht, von Anfang an gab es eine auf Kohle basierende Zentralheizung (heute ein Blockheizkraftwerk) und Elektrizität. Die massiven Steinquader wurden vor dem Einbau mit den nötigen Bohrungen versehen.

Lichtschalter in den Stein eingepasst.

Hier wurde kein Stein auf den anderen gesetzt: der facettenreiche Stein in der Mitte des Bildes ist maßgeschneidert. Wenn man die gelblichen Fugen verfolgt, sieht man, hier ist nichts geschichtet, alles aus einem Granitblock gehauen.

Die „Mitte“ des Schlosses mit handgearbeiteten Dielen. Von hier aus wurde die Anlage vermessen.

Es stehen einige Prunkstücke herum.

Schöne Aussichten.

Hauskapelle mit Klostergärtchen.

Schuhabstreiferigel;-).

 

 

 

Ins Zentrum der Macht

Geographie und deren Wahrnehmung sind oft zwei verschiedene Dinge. Wie würden wir z.B. die Umrisse des UK zeichnen? Sind wir uns der gestauchten Form der Insel bewusst? Bezüglich eines Londonbesuches zeigt die Logistik auf, es ist besser im Nordwesten zu leben als im Südwesten. Chester – London, ab 2 Stunden mit dem Zug, Plymouth – London fast 4 Stunden.

Aus Budgetgründen nahm ich am zweiten Oktober den Bus, der braucht fast 6 Stunden. Für den unschlagbaren Preis von 15 GBP hin und zurück nehme ich nicht nur die längere Fahrzeit in Kauf, sondern auch die Tatsache, dass mir beim Lesen im Bus schlecht wird. Filme auf dem Handy schauen scheint besser zu gehen, doch ich habe kein passendes USB-Ladekabel für die viele Zeit dabei = das Reisezubehör der geübten Busreisenden muss ich mir noch zulegen. Die moderne Reisende hat immerhin ein Nackenhörnchen, dann wird eben gedöst.

Große Kunst

Warum 11-12 Stunden Autobahn für 5 Stunden Großstadt? Wegen Helene Schjerfbeck (Scherbeck ausgesprochen). Die außerordentlich begabte finnische Malerin wurde von Kind an ausgebildet und ging zeitlebens Experimente ein bezüglich Stil, Farbauftrag, Komposition, Struktur. Sie wurde vom Impressionismus, dem Expressionismus, der Moderne inspiriert, die zu ihren Lebzeiten stattfanden. Auch die Vergangenheit wurde mit einbezogen. Im Auftrag der finnischen Nation kopierte sie europaweit alte Meister, da Finnland keine eigenen Bilderbeispiele im Land hatte, diese der Bevölkerung jedoch zugänglich machen wollte.

Dieses Marienbild ist ein Beispiel dafür, wie sie sich von El Greco beeinflussen ließ.

 

Ausstellung im Burlington Haus, in der Royal Academy.

Selbstporträt vor schwarzem Grund ist ihr bekanntestes Bild und der Grund, warum ich hier bin. Einmal in einem Buch gesehen und nie vergessen.

Helene Schjerfbeck starb 1946. Selbstbildnisse sind ein wiederkehrendes Motiv, sie schreckte nicht davor zurück, sich bis ins hohe Alter zu malen. Fast wie eine Totenmaske die letzten Bilder.

Eines der mutigen Altersbilder.

Porträt einer anderen Frau.

Ein Still-Leben.

Wäsche liegt zum Trocknen aus.

Dies sind nur Beispiele für das reiche Schaffenswerk.
Während ich die Ausstellung besuchte, kamen SchülerInnen herein, die in selbst gefertigten Heften von Bildern ihrer Wahl Skizzen machten. Diese Heftchen werden „zines“ genannt, das sind Kunst-Büchelchen mit einer Auflage von oft 1, wenn man sie nicht nachkopiert. Die zines sind kunstvoll gestaltet bzw. werden mit Kunst gefüllt. Schön war, etliche der Jugendlichen konzentriert auf dem Boden hockend bei der Arbeit zu sehen. Überhaupt sollte man sich mal ins Museum setzen und etwas nachmalen. Warum nicht? Rembrandt wird man dadurch nicht, aber es bereichert den Blick und die Hand. Also für das nächste Mal: Papier mitnehmen. Für den Eintrittspreis darf man schließlich in Ausstellungen so lange bleiben, wie man möchte.

The big smoke (der große Rauch, alter spitzname londons)

Vor 5 Jahren war ich das letzte Mal in der Stadt. Wie immer ein SCHADE, dass ich nicht öfters komme. Jeder Spaziergang zeigt neue Perspektiven. Das alte Zentrum des Imperiums ist unglaublich imposant. Beeindruckend, gepflegt (im Zentrum zumindest), schön, arrogant.

Und witzig:

Schild gesehen, abgelichtet, später nachgeforscht. Es handelt sich nicht um Sport, sondern um einen trendy Bierkeller deutscher Machart. Wie authentisch, weiß ich nicht. Vermutlich nicht sehr;-)
Im Hintergrund sieht man an dem Gebäude, auch im Zentrum gibt es Bausünden. Fast daneben jedoch diese Kirche:

Ein Vorteil der Busreise ist, er kommt anders in die Stadt als ein Zug, neue Viertel und Themseblicke können bei dieser preiswerten „Stadtrundfahrt“ entdeckt werden. Der Flussabschnitt mit dem Millenniumsriesenrad befindet sich jedoch in der bekannten Innenstadt, nahe dem Parlament. Seit einigen Jahren wird es nicht mehr von einem Energieriesen gesponsert, sondern von einer Getränkemarke. Mit diesem Getränkenamen kommt das Rad dann auch im Internet hochgeploppt. Kapitalismus.

Eine coole Bar mit willkommenden Cocktailgläsern auf einem Boot. Schade, dass nicht mehr Zeit bleibt. Alleine trinken macht eh keinen Spaß.
Und es sind die berüchtigten Londoner Preise zu bedenken …

 

Regent Street mit U-Bahnstation.

Um den Eaton Place herum. Die Älteren erinnern sich: Das Haus am Eaton Square lief, wenn die Erinnerung nicht trügt, sonntags am frühen Abend in Abwechslung oder vor/nach der Onedinlinie, Bonanza und den Waltons. Wenn die Oma zu Besuch war, durften wir das mitschauen. Raumschiff Enterprise durften wir auch so mal schauen, hat die Oma nicht interessiert;-)

Ohne Bild: Vor dem Parlament einige „Leave heißt Leave“-Plakate und „Wir haben euch geglaubt“. Heute keine Drinbleiben-Plakate.
Big Ben ist eingerüstet, Teil des 10-20 Jahre andauernden Renovierungsprozesses.

Um die Ecke dieses sehr teure Denkmal, um die 2 Millionen Pfund, von 2005. Es soll der Frauen im Zweiten Weltkrieg gedenken. Leere Kleidung verschiedener Berufe oder Lebensumstände, um zu zeigen, welche Rollen die Frauen übernahmen und zusammen mit der damit verbundenen Verantwortung nach dem Krieg an den Nagel hingen und wieder an die Männer zurückgaben.

Selten so ein gruseliges Denkmal gesehen. In dem Sinne erfüllt es seinen Zweck, doch ob es so gemeint ist? Von einem Bildhauer übrigens. In diesem Fall, da es um die Leistung und Zurückdrängung von Frauen geht, wäre eine Bildhauerin die sensiblere Wahl gewesen.