Kontinentalverschiebung I

Ein bisschen absurd, doch sehr 21. Jahrhundert: ich reise nach Deutschland, um alte FreundInnen zu treffen und nach Ägypten, um meine (deutsche) Familie zu treffen.

Doch von Anfang an:

Großbritannien nennt das Festland gerne den Kontinent.

Geologisch gehört die Insel jedoch selbst eindeutig und fest zur europäischen Kontinentalplatte. Vermutlich ist ein Gletscher daran schuld, dass das Land seit langer Zeit durch den Ärmelkanal von Frankreich und Belgien durch Wasser abgetrennt ist. Die geologischen Schichten sind identisch, es gibt halt diese nasse Senke zwischen großem Teil und kleinem Teil.

Das hindert in diesen traurigen Tagen die traurige britische Politik nicht, sich von der europäischen Union trennen zu wollen, da haben andere Interessen die Oberhand gewonnen. Ich reise auf „den Kontinent“ und dann gleich noch auf einen anderen Kontinent und werde überall, von allen Nationalitäten, auf diese Trennung angesprochen. Ich treffe niemanden, auch keine BritInnen, die dafür gewesen wären. Es scheinen sich verschiedene Wahrnehmungswelten über Europa aufgetan zu haben, Nachbarn leben nicht einmal unbedingt auf dem selben Planeten geschweige den Kontinent – in ihren Köpfen.

So ist jede Reise auch ein kleines, klitzekleines Politikum, ein Zeichen gegen Grenzen.


Folgendes gibt es von den Fluggesellschaften zu berichten: auf meiner Reise zuerst nach nach Bonn/ Köln, später von Düsseldorf weiter nach Sharm-el-Sheik und zurück habe ich vier Flieger benutzt, als normale Holzklassenpassagierin, und immer etwas zu essen und trinken bekommen. Die Renaissance des ummö-sonstigen Bordsnacks ist angebrochen oder scheint angebrochen zu sein! Das erweckt ein bisschen nostalgische Gefühle und die langweiligen (langweilig beim Fliegen ist gut, denn es bedeutet Nicht Abgestürzt) Flüge werden aufgelockert.

Auf der Kehrseite der Fliegerei kommt hier der maximale Toptipp: nie mit Rock oder Hose mit Nieten im Bund (wie die Nieten eines Druckknopfwickelrocks, den ich trug) durch die Flughafenkontrolle wollen. Das könnte dauern. In Manchester, ein notorisch sehr gründlicher Filz-Ort, ging es bis zur Abtastung hinter einem Privatvorhang. Alles sehr nett und freundlich und ein Kompliment habe ich von den Damen für meinen Rock auch noch erhalten. Dennoch habe ich für die restlichen Flüge ein komplett metallfreies Kleid getragen. So bestimmt die Sicherheitslage die freie Kleiderwahl. Mein Dank geht an die jahrzehntelange Geschichte des Flugzeugterrors!

Nach drei Jahren wieder Bonn, alles sehr vertraut, aber durch einen feinen Schleier. Zu meinen Besuchen und Besorgungen nutze ich Bus, Auto, Beine und Fahrrad. Ich beginne jeden Weg automatisch, muss dann innehalten: wie ging das noch, wie war der optimale Schleichweg, wie komme ich am günstigsten zu Geschäft A, Adresse B. Mein Körper ist noch richtig programmiert, es klappt.

Wer erkennt’s? In Goldschrift ist zu lesen: Deutscher Bundestag. Es ist das Wasserwerk, flankiert von zwei Wächter-Magnolien. Sternmagnolien sind nicht sehr wehrhafte Bäume, nicht abschreckend, so ein schönes Symbol für einen demokratischen Ort.

Die Stadt steht noch, es wird viel gebaut. Die neue und moderne Bücherei ist gelungen. Das Ungetüm gegenüber dem Hauptbahnhof, dieser Schandfleck, wird abgerissen und zeigt bereits das Hintere seiner Fassaden – noch scheußlicher als die alte Fassade. Man hört jedoch, der Ersatz wird auch nur ein eckiger Konsumtempel werden, das verheißt noch nichts Verheißungsvolles.


Vorschau: zu diesem Licht, diesem Wasser will ich hin. Im Hintergrund die saudischen Berge auf der drübigen Seite des Roten Meeres, Abschnitt Golf von Akaba. Sie wirken oft wie nur einen km entfernt, es dürften aber mindestens fünf sein.


Leider habe ich keine Zeit, der Sprengung des Bonn-Centers von 1969 und die rheinische Antwort zum Europa-Center in Berlin, beizuwohnen. Sie verlief reibungslos, wie dem Internet zu entnehmen ist. Ich befand mich zu dem Zeitpunkt in einem Gottesdienst etwa 4 km entfernt, dort war nichts von dem Knall zu vernehmen und das lag sicher nicht an der Orgelmusik. Der für mich wichtigste Teil des Centers, das Kabarett Pantheon, hat auf der anderen Rheinseite, auf der schäl Sick, ein, wie man hört, schönes Zuhause gefunden. Schade, dass keine Zeit ist, eine Veranstaltung zu besuchen.

Als ich mit dem Flughafenbus zum ersten Mal über den Rhein komme, erschrecke ich: Hochwasser! Keine Spur, eher Niedrigwasser, wie sich zeigt. Ich bin solche enormen Flussbreiten einfach nicht mehr gewöhnt.

Wo ist das Ichiban Nudelrestaurant geblieben? Der Laden in der Rathausgasse steht leer und sieht staubig aus (dem Internet zu entnehmen: nur umgezogen. Uff). Auch das First Flush, das edle Teehaus, in dem wir beschlossen haben, auszuwandern, hat neuen Namen und neue Eigentümer. Das Gehirn schaut und gleicht ab mit dem Gespeicherten und dem, was aktuell zu sehen ist.

Für die berühmte rosa Kirschbaumblüte in der Altstadt ist noch etwas zu früh, immerhin beginnen die weißen Bäume zu blühen:

Ein paar Tage mit vielen Menschen verbringen, eine sehr gute Zeit. Aufgrund einer Trauerfeier im nahen Umkreis auch die richtige Zeit, wieder ein paar Meter Lebens-Wegs gemeinsam zu gehen.

Und da ist noch ein Höhepunkt: mein alter Chor, die Rhubarbs, singen wieder. Just an diesem Wochenende. Schade, dass ich nicht mit auf der Bühne stehen kann. Selbst wenn ich könnte, ich müsste mir die alten Liedtexte wieder draufschaufeln und die neuen Lieder: sind anspruchsvoll. Schön war’s und bald (4.32 ab Hbf Bonn) geht es weiter.