Der Coronavirus in den UK

Auch in den UK grassiert der Virus, doch erst seit Anfang März sind mehr als einzelne Fälle bekannt. Zeitlich liegen wir folglich 3-4 Wochen hinter anderen europäischen Staaten zurück, wir haben die Spitze des Eisbergs im Ansatz nicht erreicht, geschweige denn überschritten.

Stand der Dinge

Die Fallzahlen steigen täglich, doch da die ersten Wochen nur eine kleine Anzahl von Menschen getestet wurden, fast nur Leute, die eh schon in Krankenhaus lagen, ist die Dunkelziffer hoch. Wegen der wenigen Tests erscheint die Sterbeziffer auch erstaunlich hoch. Das hat sich auch nicht wirklich geändert. Nachdem die WHO angemahnt hatte, die Wege des Virus konsequent mittels Tests zu verfolgen, wurde Besserung versprochen, doch immer wieder höre ich, selbst medizinisches Personal wird nur widerwillig getestet. Man hat die Kapazitäten noch nicht.

Am stärksten betroffen ist London. In Plymouth gab es die letzten Wochen nur einen Fall, dann zwei, heute liegen wir bei fünf Personen. Das klingt gut, doch wie wir alle wissen, kann eine einzige Party, ein einziges Flugzeug mit Virus an Bord, ein einziger Theaterbesuch das alles ändern.

Geschichte der Bekämpfung

Die Regierung hat sich von Anfang an von anderen Ländern abgesetzt, was die Methodik betrifft. Man stützt sich auf “Wissenschaft”, das wird ständig wiederholt, doch es wird nicht transparent gemacht, auf welche Studien genau. Darüber habe ich aber gestern auf der FAZ Seite was gelesen. Es handelt sich um renommierte Seuchenstudien, die aber eben genau das sind: Studien, die oft nach einer Epidemie irgendwo auf der Welt nachmodelliert worden sind. Man versucht aus der Datenlage, Seuchenverläufe zu verstehen und kann damit Vorhersagen treffen und Maßnahmenkataloge ableiten. Diese Art Technik wird ständig verfeinert, da steckt viel Arbeit dahinter, tolle Sache, doch im Endeffekt sind es Möglichkeitsszenarien. Das Gute an ihnen ist, dass sie den schlimmsten Fall nachbilden, also zur höchsten Vorsicht aufrufen.

Da die UK sehr von oben herab regiert werden, ist es typisch, dass von Tag zu Tag verkündet wird, was nun sinnvoll sei, immer mit der Begründung der wissenschaftlichen Empfehlung, ohne viel mehr offenzulegen.
Der erste Plan bestand darin, eine Durchseuchung der Gesellschaft maßvoll zu begleiten, damit eine hohe Immunisierung eintreten kann. Denn man ist sich sehr bewusst, vielleicht mehr als anderswo: eine Behandlung liegt noch in weiter Zukunft, die Seuche wird lange dauern. Je mehr Menschen immun sind, desto besser in Zeiten der Re-Infektion.
Schnell hat man jedoch begreifen müssen, dass der Corona nicht maßvoll begleitet werden kann. Der Virus ist zu infektiös. Und dass das in den letzten Jahren ausgeblutete Gesundheitssystem – mit proportional einem Sechstel der Intensivbettenanzahl als z.B. in Deutschland – schon bei geringeren Fallzahlen kollabieren könnte. Deshalb werden nun nach und nach dieselben Maßnahmen wie in anderen Ländern eingeführt, die letzte heute: Schulschließungen stehen an.

Manches kommt sehr ungeschickt daher, so wenn vor Theaterbesuchen gewarnt wird, die Theater aber nicht geschlossen werden, wozu die Regierung die Befugnis hätte. Zu Recht haben sich öffentliche und private Stätten darüber beschwert. Am nächsten Tag erst wurde im Nachgang über Milliardenhilfen für die Millionen betroffenen kleinen Unternehmen, FreiberuflerInnen und die Unterhaltungsindustrie, die hier eine große Rolle spielt, geredet. Da hat sich etwas bewegt, einfach ist es nicht. Die Sozialleistungen sind nicht hoch, viele Leute haben keine Rücklagen, sondern leben von Woche zu Woche.

Stand heute

Im Ergebnis stehen wir erst seit Montag, 16.3, in dieser ernsteren Phase: die Verbreitung abbremsen. Vor allem mit Hände waschen und Distanz halten und Heimarbeit. Gleichwohl gibt es bereits seit letzter Woche die berühmten Hamsterkäufe auf Klopapier und Nudeln. Klopapier wurde schon in den verschiedenen Brexitphasen gehortet, gewisse Leute sollten eigentlich noch davon übrig haben ….

Man droht an, in einiger Zeit alle Menschen über 70 Jahren zuhause sitzen zu lassen. Das gehört wieder zu dem Plan, die gesunde Bevölkerung zu durchseuchen. Man sieht, man fährt zweigleisig.

Grenzschließungen und Ausgehverbote sind noch nicht geplant. Im Supermarkt konnte ich aber geleerte Bierregale bewundern, als Alternativen zum Pubbesuch. Das wird schwierig für die Einheimischen: die Kultur ist wesentlich distanzierter als in Italien oder sogar Deutschland, dennoch gibt es wichtige Knotenpunkte, an denen man alle Bevölkerungskreise antreffen kann. Etwa den Pub.

Die gute Nachricht lautet, ab nächster Woche wird es milder, kann man wenigstens auf Distanz draußen sitzen.

Alle unserer Bekannten sind sehr vernünftig und verhalten sich entsprechend. Doch heute in der Stadt, das hat mich geschockt: in zwei Cafés/ einfachen Mittagsbistros sehe ich alte Leute dicht gedrängt fröhlich mit FreundInnen einen trinken und essen. Alle über 70. Die haben den Schuss noch nicht gehört.

Was bedeutet das Hin und Her für uns?

Kein Chor, obwohl man überlegt, wie man online zusammen singen oder zumindest üben könnte.

Keine Glocken, denn am Dienstag hat auch die anglikanische Kirche die Aussetzung der Gottesdienste verkündet.

Kein Schach für Klaus, als kleiner Trost kann er das Kandidatenturnier in Jekaterinburg verfolgen, das seit Montag läuft (nur 8 “Athleten”, deren Versorgung, kein Publikum, das erschien den Veranstaltern machbar). Das Kandidatenturnier ermittelt den Schachspieler, der gegen den amtierenden Groß- und Größtmeister bei der WM antreten darf.

Wir dürfen den Tennisplatz noch nutzen, da Tennis wahrlich kein Kontaktsport ist.

Unser Allotment braucht noch viel Liebe (und Umgrabearbeit). Damit sind wir gut beschäftigt.

Die Bücherei hat auch noch auf, sollte sie zumachen, besorge ich mir die Bücherei E-Leseapp. Auf dem kleinen Handy wirds zwar ungewohnt, ein Buch zu lesen, aber besser als nichts. Im Ganzen: uns geht es gut, das Katastrophenmanagement in den UK ist nicht schlecht, aber auch nicht gerade vorbildlich.


Ausblick

In der letzten Zeit habe ich viel fotografiert, die bald gibt es einige Plymouth Bildbeiträge in diesem Blog.