Ruinen sind schön

Schon mal gehört? Ein deutscher Bekannter sagte, er sei nie in der Kathedrale von Coventry gewesen, obwohl er öfters in der Nähe war. Habe man eine Kathedrale gesehen, habe man alle gesehen. Echt jetzt? Ohne ein moralisch-kulturelles Urteil über den Mann zu fällen: Können wir nicht bestätigen. Man muss sicher nicht im 123. Schloss in jede kleinste Ecke luren, aber hingehen: auf jeden Fall. Alle Burgen, Häuser, Gärten haben ihre eigene Atmosphäre, Geschichte, Ästhetik. Wir bleiben neugierig.

Fluss Wye. Jenseits liegt England. Rechts im Bild die Burgruine von Chepstow. Der große Tidenhub der Bristol Bay ist spürbar, deshalb schwankt der Flusspegel und die schlammigen Ufer sind die halbe Zeit über sichtbar. Bild von K.

Wir sind in Chepstow am Fluss Wye, gerade hinüber in Wales. Wales hat sich während der Pandemie teilweise komplett von außen abgeschottet, selbst unsere Freund:innen aus Cheshire, die keine zehn Kilometer von der “Grenze” entfernt wohnen, durften wiederholt diese Grenze nicht überschreiten. Vor den Impfungen gab es massive Fallzahlen. Es wurde hart kontrolliert, Pendler:innen mussten eine Bescheinigung vorweisen, Tourismus war verboten. Der bestand in der Zeit aus unvernünftigen, meist englischen Scharen, die meinten, die Pandemie zur Ersteigung des Snowdon, des höchsten Berges von Wales, nutzen zu müssen. Es ging dort wohl zu wie auf dem Oktoberfest.

Es gibt zwar keine Grenzbäume, auf Hauptstraßen taucht vielleicht ein Schild “Willkommen in Wales – Croeso i Gymru” auf, aber was wirklich auffällt, sind die zweisprachigen Ortsschilder und das allgegenwärtige “araf” “langsam”, das auf die Straßen gepinselt ist. Dann ist man mit Sicherheit im schönen Wales.

Bin etwas überrascht, dass trotz der unterschiedlichen Politik auch hier Maskentragen meist freiwillig ist und von den Betreibenden abhängt (anders in Schottland, wo man in Innenräumen noch generell von Staats wegen dazu verpflichtet ist).

Nichts geht über eine Abteiruine

Obwohl es, dank Heinrich VIII und seiner Einkassierung und Zerstörung der kirchlichen Pfründe, Hunderte davon gibt, finden sich Abstufungen in den Klosterruinen. Von etwa drei sichtbaren Steinchen bis zu hoch aufragenden Mauern gibt es alles dazwischen zu sehen.

Chepstow liegt am Wye und dort verortet man auch Tintern Abbey, sehr berühmt, eine der großen Überbleibsel. Das ganze Wye-Tal ist eine Area of outstanding national beauty – ein besonders schönes Gebiet, das unter einem bestimmten Schutz steht. Eine Art Landschaftsschutzgebiet. Das war nicht immer so, jahrhundertelang wurde Eisen geschmiedet und andere Industrie siedelte sich an. Nicht zur Unfreude der Touris, die schon im 18. Jahrhundert die Abteiruine besuchten: für diese Menschen waren der Qualm und Lärm und die Geschäftigkeit ein Zeichen von etwas Großem, Wichtigem und so interessant wie die romantischen Überreste des Mittelalters.

Das Wye-Tal ist wandertechnisch gut erschlossen. Auch wenn es ohne Steigungen nicht geht, so gibt es wenigstens Aussicht.