Stadt Ansichten

In den Nordosten Schottlands

In den UK wird zwischen towns und cities unterschieden. City zu sein scheint erstrebenswert, obwohl es nur wenige Privilegien bietet. Es ist mehr eine Ehre, eine Sache des Prestiges, den Citystatus zu erhalten (eine Kathedrale ist und war nie notwendig, um City zu werden). Verleihen können nur der jeweilige Monarch, die Monarchin. Zu ihrem 70-jährigem Thronjubiläum hatte Elisabeth II noch einige Orte zur City geschlagen, u.a. Dunfermline in Schottland, eine heute eher unbekannte Stadt, die allerdings Könige hervorgebracht hat und Hauptstadt Schottlands gewesen ist. Ist aber schon eine Zeitlang her.
Damit hat Schottland nun 8 Cities. Mit Abstand die meisten Cities befinden sich in England, auch Plymouth ist eine City.

Die schottischen Cities sind Glasgow, Edinburgh, Inverness, Perth, Dundee, Aberdeen, Stirling und Dunfermline. Edinburgh, Stirling und Inverness wurden 1986 beim Interrailen besucht, Glasgow um 2015, Perth, Dundee und Aberdeen nun 2022. Dauert alles seine Zeit… Zwei der Städte, Stirling und Inverness, waren zum Zeitpunkt des Interrailings noch keine Cities, sie wurden es erst 2002 bzw. im Jahr 2000. Dumfernline fehlt noch, falls nicht in Zukunft noch mehr Cities dazu kommen.

Schon am Flughafen was gelernt

Wir schießen Leute ins Weltall und fotografieren ferne Galaxien und doch ist es immer noch schwierig, bei Nebel zu starten und zu landen, trotz aller Instrument Landing Systems (ILS). Das stellen wir an einem der sehr seltenen Nebeltage fest, der zufällig unser Abreisetag ist und zwar vom kleinen, schnuckeligen Flughafen in Exeter.

Fünf Minuten später konnte man die Häuser jenseits der Startbahn sehen, von deren Existenz man gar nichts ahnte. Dann konnte man wieder z.B. nach Jersey fliegen. Für unseren Flug nach Edinburgh mussten sie uns aus technischen Gründen dazu eine Ersatzmaschine schicken, das dauerte noch länger. Zu Ks Freude und meinem Missvergnügen war es eine Propellermaschine, ähnlich der abgebildeten. Sie flog aber besser als erwartet.
am Tay

Erstes Ziel, Dundee, von Edinburgh in zwei Stunden zu erreichen und Hotel gleich im Bahnhof, praktisch. War wie ein Ibis Hotel, nur moderner. Man konnte die bodenlangen Fenster nicht öffnen, dafür war es leise und man gewöhnt sich für die kurze Zeit an die Dauerklimatisierung. Viele Menschen arbeiten jeden Tag unter solchen Bedingungen und zwar mit weitaus schlechteren Anlagen. K spielt in der Stadt ein Wochenende lang Schach, doch es bleibt genügend Zeit zum Erkunden.

Bahnhof Dundee mit Hotel. Ein kleiner Supermarkt war unten auch noch mit drin. Hinter dem Bahnhof beginnt die Innenstadt mit Kneipenviertel, im Rücken fließt der Tay.

Dundee liegt am Ufer des Flusses Tay, des schnellst fließenden Flusses Schottlands, nahe dessen Mündung in die Nordsee. Es gibt eine große Universität, Museen, Baulücken, neue Gebäude, jede Menge Kneipen, eine bunte Mischung aus alt, neu, heruntergekommen, aufgefrischt. Nicht immer schön, aber interessant.

am Ufer des Tay mit Blick Richtung Hafen und Nordseemündung.

Das Designmuseum, eine Auslagerung des V&A (Victoria and Albert) Museums in London, ein Gebäude, das Sandsteinklippen zum Vorbild hat und von dieser Vorderseite auch einem Schiff ähnelt. Geheizt wird direkt mit Erdwärme unterhalb des Flussbettes, ich habe nachgefragt.
Daneben die Discovery, das Schiff, das Robert Falcon Scott, der Jahre später beim Versuch, den Südpol zu erreichen, verstarb, zu seiner ersten und sehr erfolgreichen Antarktisexpedition gebracht hat. Man sieht dem Schiff nicht an, dass es zwischen 1902 und 1904 zwei Jahre lang in der Antarktis festgefroren war.

Nochn Schiff

In Dundee liegt ebenso die Unicorn, das Einhorn, vor Anker, ein Kanonenkriegsschiff von 1824. 1824? Ist das nicht ein bisschen spät für Schiffe die aussehen wie aus Piratenfilmen? Das ist zutreffend, die Unicorn wurde nie zum Kämpfen benutzt, auch nie mit Masten versehen, wenn sie auch schon moderner gebaut war als die ganz alten Holzschiffe. Sie war aus der Zeit gefallen, doch machte sie sich nützlich. Sie diente z.B. als Marineschulungsgebäude, als Kommandozentrale oder als Pulverdepot. Da sie nie eine Schlacht gesehen hat, ist sie heute die älteste Kriegsfregatte ihrer Klasse, die überlebt hat.

Das namensgebende Einhorn
Das unterste Deck, das Orlopdeck, unter der Wasserlinie gelegen, ist zugänglich, Deckenhöhe teilweise nicht mehr als 1,20m. Hier wurden Vorräte gestaut und Ballast platziert. Ein besonderer Einblick in den Schiffsalltag, den man nicht auf allen Museumsschiffen zu sehen bekommt.
Unicorn im Victoriadock. Im Hintergrund am Fluss gelegene Neubauten.

Aha – Effekt:

So sieht eine Schiffspfeife aus. Die Pfeifen, die diese hohen charakteristischen Töne erzeugen – wiiiiiii-uuu. Anders als die gemeine Trillerpfeife.
Bildungsreise

Mein persönlicher Rekord, 7 Museen in drei Städten in 5 Tagen. Und alle waren sie interessant, besonders die Stadtmuseen, diese Mischung aus allem, was eine Gegend zu bieten hat. Räume für Kunstsammlungen, Stadtgeschichte und Archäologie, regionale Erzeugnisse und Berufe, Naturgeschichte, Sonderausstellungen. Eine einfache und sympathische Art, einer Stadt auf die Schnelle näher zu kommen.

Perth

Perth liegt 22 Meilen flussaufwärts und ist bedeutend kleiner als Dundee. Es wirkt eher abgelegen, hat nichts mehr mit dem Meer zu tun. Die Stadt ist aber stimmig in ihrer wunderschönen Lage zwischen Feldern und Hügeln und am deutlich weniger breiten Flussbett des Tay.

Perth in Schottland an einem kühlen Sonntagmorgen
Schottland herbstelte (Park in Perth)

Auch hier wieder viel gelernt, z.B:
Jungsteinzeitliche Steinkugeln, die nur im Nordosten Schottlands (fast) gefunden werden. Um die 520 Stück bisher entdeckt, der Zweck ist unbekannt, doch sie sehen gut aus. Bestimmt ein hoch interessantes Sammelgebiet, diese mehr als golfballgroßen Handschmeichler.

Vitrine im Stadtmuseum von Perth mit vier Steinkugeln.
Unter den Plaketten stehen Gemeindenamen aus Schottland. Lange Zeit war es dort in den presbyterianischen Kirchen üblich, Menschen, die zur Kommunion gingen, mit einem Metallplättchen als ehrbare Gemeindemitglieder auszuweisen. Damit nicht versehentlich die falschen Brot und Wein ausgeteilt bekamen. Und da glaubt man, man habe schon alles gesehen … In den Museen liegen Tausende Märkchen.

Auf dem Weg in die Stadt von Dundee aus mit dem Bus fielen viele Folientunnel auf, welche mit und welche ohne Folie. Sie entpuppten sich im Vorbeifahren als Erdbeerhäuser. Es wird oft davon gesprochen, wieviel Obst und Gemüse aus Schottland komme. Man will das nicht so recht glauben, Schottland liegt doch so weit im Norden, oder? Ja und Nein. Im Norden schon, aber die britische Insel liegt in der Hauptachse nicht nach Norden und Süden ausgerichtet, sondern etwas gedreht, so dass man z.B., wenn man Schottland besuchen will, von London aus nicht direkt nach Norden fahren kann, dann landet man irgendwann in der Nordsee, sondern leicht nach Nordwesten. Zum Vergleich: Ein großer Teil der Fläche Schottlands liegt etwa auf der Höhe von Dänemark.

Erdbeerfelder mit Überdachungsmöglichkeit. Im Hintergrund mit Folie.
Die Granitstadt

Dies war ein jahrelang gehegter Wunsch, the granite City, die Granitstadt Aberdeen zu besuchen. Städte aus Granit sind nicht gerade die Norm, meistens findet man Sandsteinbauten. Aberdeen liegt hoch im Norden und ist aus grauem Gestein, das klingt finster.

Ungefiltert geknipst.

Aberdeen ist schön und schön reich, eine elegante und wohlhabende Stadt und zwar von Alters her. Ihre Lage an der Nordsee hat sie als Handelshafen prädestiniert. Im hoch interessanten Meeresmuseum finden sich Statistiken über Ein- und Ausfuhr: Im 17. Jahrhundert belief sich die Tonnage auf etwa 4000 Tonnen pro Jahr, 1874 waren es weit über 500.000 Tonnen und 2005 fast 5 Millionen! Tonnen. Das Was hat sich allerdings verändert. Waren früher Tabak, Fischöl, Wolle und ähnliche Produkte dominierend, so werden im 21. Jahrhundert Sachen wie Baryte und Röhren aufgeführt. Baryte sind schwere Kristalle, die bei der Aufrechterhaltung von Bohrlöchern helfen. Womit wir bei einem der heutigen Quellen des Wohlstands Aberdeens sind: Erdöl. Auch diese Geschichte ist im Museum gut aufbereitet.
Aberdeen ist die Ölstadt, von der aus einige der britischen Plattformen versorgt werden und zwar fing der Boom in den 70er Jahren an, ich nehme an, im Zuge der Ölkrise(n) plus der Verfügbarkeit von Techniken, die diese Bohrungen erst ermöglichten und rentabel machten. Öl hin oder her, es ist wichtiger Bestandteil unseres Reichtums und unserer Bequemlichkeit, nur der Umbau weg vom Öl hätte längst früher begonnen werden müssen und vor allem können, aber da sah die Öllobby vor und sie ist mit ihrem übergroßen Einfluss noch nicht am Ende. (Der Energieminister Großbritanniens im Sommer 2022, Jacob Rees-Mogg, hat viel Geld in Öl angelegt und gute Verbindungen in fossile Kreise. Dazu ist er ein Klimawandelskeptiker, er lebt ja auch nicht auf einer halb überschwemmten pazifischen Insel, da kann er sich das leisten. Eine nicht wirklich zukunftsweisende Mischung.)
Aberdeen bemüht sich, auch mit erneuerbaren Energien am Puls der Zeit zu bleiben, doch es bleibt spannend, wie sich Ölstädte in den nächsten Jahrzehnten entwickeln werden.

Eindrücklich! Styroporköpfe, die in verschiedene Wassertiefen verbracht wurden. Sie begannen ihr Leben in identischer Größe. Der größte Kopf war nur auf 100 Meter getaucht, der mittlere auf 1000 Meter und der Kleene befand sich in 7000 Metern Wassertiefe.

Originalleuchtturmlinse, eine geschliffene Fresnellinse von ca. 1880, Durchmesser ca. ein Meter.
Auf diesem Bild ist ein anderes Leuchtfeuer abgebildet. Dieser Herr, der mehr wirkt wie ein Zauberer auf einer Kleinkunstbühne, steht in einer Leuchtturmlinse und zeigt im Größenvergleich die Winzigkeit der benötigten Glühbirne für ein Licht, das meilenweit über das Wasser leuchtet. Alles aufgrund der Brechnungsoptik der Fresnellinsen.
Neben all den grauen Häusern fließt der Dee. Der Dee? War der nicht in Cheshire? Es gibt mehrere Flüsse diesen Namens, dennoch fühlte es sich wie ein Wiedersehen an. (Blick Richtung Hafen)
Zu guter Letzt

Ein Abend in Edinburgh soll drin sein, wenn man von dort fliegt und das Flughafenhotel nicht so prickelnd ist – funktional halt.

Und wer wartet direkt nach dem Ausstieg aus dem Hauptbahnhof Waverley Station? Wie 1986 auf Interrailtour das weltweit größte Denkmal für einen Schriftsteller, das für Sir Walter Scott.

Da sitzt er drin, ganz klein, in seinem Schrein.

Die Königin ist tot, es lebe der König

Schock

Am 8. September 2022 ist Elisabeth II verstorben, nach über 70 Jahren auf dem Thron und mit 96 Jahren. Weltweit wurde dies mit sanfter Überraschung wahrgenommen. Lange erwartet und doch nicht wirklich damit gerechnet. Die Queen war eine Konstante auf einer Erde, die während ihres langen Lebens so viele tief greifende Veränderungen durchlaufen hat, wie vielleicht nie zuvor in der Menschheitsgeschichte. Superlative zu bemühen, erscheint hier angemessen.
Royalistinnen und Antimonarchisten sowie Menschen, die sich als neutral empfinden, Leute von hier und von woanders, alle waren sie betroffen, manche zu ihrer eigenen Überraschung. Das Ereignis hat emotionale Reaktionen hervorgerufen und viele dazu gebracht, über ihr Verständnis zum Königshaus, zum öffentlichen Leben, zur Lage der Nation ein bisschen nachzudenken.
Viele wollten ihre Verwirrung kanalisieren und etwas tun. So sind sie z.B. nach London gereist, um sich in die Warteschlange nach Westminster Hall, in der die sterblichen Überreste aufgebahrt waren, einzureihen. Dieses scheint ein Erlebnis an sich gewesen zu sein, es hat den Menschen geholfen, sich als Teil einer Gemeinschaft verstehen zu können. Die Zahlen sind gewaltig: über 400.000 Menschen haben angestanden und ihren Respekt bekundet Das macht man nicht, um einen Sarg mit einer drapierten mehrfarbigen Fahne zu sehen. Das macht man, um persönlich mit einem Ruck der Geschichte klarzukommen.

Die Berichterstattung fand 24 Stunden statt, die ganzen Tage bis zum Begräbnis. Viel konnte man daraus lernen, Details hier, historische Fakten dort, oder besser auf dem kommentarlosen Kanal die Ereignisse verfolgen, so wie sie stattfanden. Sehr beruhigend. Weitaus beruhigender als wenn Hofschranzen und Royals-Berichterstattende ihren Senf zu allem und jeden gaben, jede Regung im Gesicht und jedes Wort der noch lebenden Königsfamilie zu Tode analysierten und man merkte, wie wichtig sie sich fühlten, nahe dem Zentrum der Macht zu sein, endlich fanden sie das Gehör, das sie schon immer verdient zu haben glaubten. Bei der Gelegenheit fand gleich noch eine Heiligsprechung der Elisabeth II statt und es war besser, auf stumm zu schalten.

Viel realer war es, etwa zu sehen, wie der Sarg vor der Überführung nach London von schottischen Soldaten aus dem Leichenwagen in die Kathedrale von Edinburgh getragen wurde. Ein Paradeakt der Perfektion. Wie schwer der mit Blei ausgeschlagene Eichensarg war, konnte man an den angestrengten Gesichtern der jungen Männer sehen, doch auch ihren Willen, ihren Part mit Stolz und reibungslos über die Bühne zu bringen. Was ihnen auch gelungen ist. Sie haben jetzt etwas, was sie ihren Enkelkindern erzählen können.

Der Wochenplan für den neuen König Charles III war derart gnadenlos mit Reisen und Reden und religiösen Zeremonien vollgestopft, dass man nicht weiß, ob man Mitleid haben soll oder lachen über den ganzen Pomp.

Die Zeit mit der Queen

Und natürlich haben die Menschen in Erinnerungen gekramt, wann man wie etwas mit der Queen zu tun hatte, oder welche Ereignisse im Gedächtnis geblieben sind. Da war die Fernsehsendung ca. 1969, die die Royals zum esten Mal privater gezeigt hat und die von einigen als skandalös unpassend empfunden wurde, so dass sie wieder aus dem Programm verschwand. Da war das Ende des Radioprogrammes BBC4, das bis heute mit der Nationalhymne endet. Die Nationalhymne ist insofern ungewöhnlich, weil der Monarch, die Monarchin direkt angesprochen wird, es geht nicht um das Land, sondern um die Person, die für das ganze Land steht. God save the Queen haben alle gesungen und müssen sich nun umgewöhnen. Eine Bekannte, eine Sängerin, hat sich das im Kopf vorgesungen, stolperte über Queen und hat sich rasch umentschieden: heraus kam God save the Qu-ing. Großartig! Sie war es auch, die mit 17 mit ihrer Mutter am Rande des Hydeparks in London campiert hat, um 1953 die Krönungsprozession nicht zu verpassen. Das war ein Jahr bevor im Königreich die letzten Lebensmittelmarken und damit die letzten Rationierungen aufgehoben wurden. Was der jungen Frau in Erinnerung blieb, war die Vorüberfahrt der Salote Tupou III, der regierenden Königin von Tonga, die, wie im Internet nachzulesen ist, durch ihren Charme auf dieser Prozession allgemein einen fabelhaften Eindruck hinterlassen hat. Und sie war 1,91m groß.

Andere haben ihre Fotos gezeigt, in dem sie mit von den Müttern genähten Kostümen für die Krönungsparty angezogen waren. Sogar als Königin verkleidet! Der Niedergang der Monarchie im Zuges des Todes von Diana wurde auch erwähnt, vor allem aber die endlich einsetzende Lernfähigkeit, endlich mit der falschen Art von Distanzierung vom Volk aufzuhören. Die königliche Familie ist kein Vorbild, sie ist mehr Eastenders (das ist die englische Version der “Lindenstraße”, in der es nur disfunktionale Familien gibt) als Modellfamilie und als sie das zugegeben hatten, hat man sie wieder besser akzeptiert. Und so ging es bis heute …

Der passende Soundtrack

Für mich war sofort klar, was das Ableben bedeutet: jede Menge Gelegenheit zu läuten. Ich spielte wirklich eine Rolle in dieser nationalen Anstrengung. Als überzeugte Demokratin und Nichtroyalistin sehe ich keinen Widerspruch darin, zu einem würdigen “Send-off”, einer schönen Leich, wie man in Bayern sagt, beizutragen. Unsere Rolle an der Glocke ist es, für Gottesdienste zu läuten und für Ereignisse, die Würde und Tragweite benötigen. (Wir haben sogar einige Glocken, so viele es ging, um dem Coronaabstand zu genügen, zur Beerdigung von Prinz Philip geläutet).

Bei Todesfällen oder am Erinnerungstag, das ist um Allerheiligen herum, wird halb gedämpft geläutet. D.h. die Klöppel werden einseitig mit Leder verhüllt, man erhält einen klaren Schlag und einen wie ein Echo. Sehr feierlich und wunderschön zu läuten. Nun wurde, soweit möglich, komplett gedämpft, mit der Ausnahme des Tenors, das ist die schwerste und dadurch am tiefsten gestimmte Glocke, der blieb halb gedämpft. D.h., was immer man geläutet hat diese Woche, alles war gedämpft, wie durch einen Schleier, nur jede zweite Runde strahlte ein Tenorschlag hervor. Diese Anordnung wird nur beim Tod einer Monarchin, eines Monarchen eingesetzt.

Doch das war nicht alles so einfach, denn nach der Todesnachricht und dem ersten Trauerläuten fand am Samstag bereits die Proklamation von Charles III statt. Als die Queen starb, wurde er in dem Moment schon automatisch König. Aber man muss es noch verkünden. Dies ist natürlich ein freudiges Ereignis, man hat einen neuen Souverän. Also die Klöppelhüllen wieder abgenommen.

Die Verkündigung folgt einem alten Ritual. Am Samstag fand sie in London statt. Am nächsten Mittag erst, dem Sonntag, in Belfast, Cardiff und Edinburgh, den Hauptstädten des UNITED KINGDOMS. Einige Stunden später in großen Städten und um 16 Uhr dann schließlich auf Stadt- und Gemeindeebene. Diese Tradition kommt aus der Zeit der Pferdeboten und Postkutschen und wurde beibehalten, vermutlich, damit man die ganzen Zeremonien überhaupt geschafft bekam.
Man musste um vier Uhr am Sonntag in Plymouth also nicht überrascht tun, dass es einen neuen König gab. Man durfte es bereits wissen.
Die Proklamation fand vor der so genannten Zunfthalle statt, nahe des Münsters, in dem wir schon bereit standen, Seil in Hand. Nach der Ausrufung des neuen Monarchen haben wir dann 40 Minuten geläutet. Am Stück und mit 8 Glocken. Das war das erste Mal, dass ich mit 8 (anstatt der einfacheren 6) Glocken einen dieser Quarter Peels genannten “Stücke” durchgestanden habe. Ich habe also die Gelegenheit genutzt, meine eigene Geschichte weiterzuschreiben, meine Läutegeschichte.

Wir waren sogar in den Lokalnachrichten der BBC. Das Video dazu will sich nicht hochladen lassen, deshalb ein paar Schnappschüsse davon. Die Sendung wurden von vielen Leuten gesehen, ich wurde mehrfach darauf angesprochen.

Nach der Proklamation wurden die Glocken landauf, landab wieder gedämpft, für Proben, für besonderes Läuten, wir durften läuten, was immer wir wann wollten, bis zur Beerdigung am Montag, 19. September, 11 Uhr. Davor haben wir zum letzten Mal für diese Kette der Ereignisse geläutet.
Anschließend bin ich langsam nach Hause gegangen. Es war ein nationaler Feiertag ausgerufen worden. Die Straßen waren wie leergefegt, sogar die Supermärkte, die hierzulande an Sonn- und Feiertagen nie geschlossen haben, waren zu. Aus Pubs und einigen Wohnzimmern klangen die Geräusche des Trauerfeier.

Ein Abschluss

Das wäre es für mich gewesen, doch auch bei uns zu Hause lief der Fernseher, auf dem gerade der Sarg aus der Westminster Abbey getragen werden sollte. Erst noch ein herzzerreißendes Ständchen des persönlichen (verrückter Job) Dudelsackpfeifers der Königin, bei dem man sich denken konnte, Dudelsack ist gegen alle Erwartung doch ein schönes Instrument, und endlich nahmen englische Soldaten die Bürde des Sargtragens auf sich. Wie ihre schottischen Kollegen meisterten sie ihre Aufgabe mit Bravour. Draußen gelangte der Sarg auf einen altmodischen Kanonenwagen, der von Marinesoldat:innen gezogen wurde. Ich wollte nur kurz dabeibleiben, doch aus einer Minute wurde fast eine Stunde. Es war zu faszinierend. Besser geht es nicht. DAS war ein ordentlicher Trauerzug, mit einem Sarg, auf dem eine Krone lag. Dieser Kontrast: ein nach menschlichen Wertmaßstäben unschätzbares Geschmeide und ein (ohne Respektlosigkeit) Häuflein Gebein. Jetzt braucht niemand mehr zu sterben, diese Inszenierung war makellos, kann nicht übertroffen werden.

Leider läutet sie nicht das Ende der Monarchie ein. Schon wird jedes Wort von Charles III gedreht und gewendet, man erwartet eine Verschlankung des Apparats, aber natürlich keine Abdankung. Derweil haben wir eine neue Premierministerin, eine der letzten Personen, die Elisabeth II in ihrem langen Leben getroffen hat. Sie ist, nach allen Berichten, eine beinharte Ideologin und will die großen Probleme des Landes mit anerkannt altmodischen Wirtschaftstheorien lösen. Das Problem mit Ideologien jedweder Farbe ist, dass sie glauben, die Wirklichkeit nach ihrem Bilde formen zu können. Ob die Wirklichkeit jetzt will oder nicht. Das geht selten gut aus. Vielleicht wird sie nicht so beratungsresitent wie ihr Vorgänger sein, die nächsten Wochen werden es zeigen.

Der eine Premier ist gegangen, eine neue Prime Minister ist im Amt.

Das Jahr des Hasen

In China haben sie gerade den Tiger im Kalender, aber für mich ist 2022 eindeutig das Jahr des Hasen, und zwar des echten. Auf der Loire-Radtour im Mai dieses Jahres hat mich ein Langohr fasziniert und nun, auf einer kleinen Bretagnetour, konnte ich in Ruhe zweien zusehen. Frankreich scheint ein Hasenland zu sein. Kaninchen gab es auch. Und natürlich Hinkelsteine.
Schon wieder Frankreich? Da ist ein Glückskeks am Reisen … Und das kam so: Unser Covid-Gutschein für die nicht stattgefunden habende Fährfahrt nach Spanien ist immer noch nicht aufgebraucht, da darf man kreativ werden. Ich habe mein Rad gepackt und auf ging es nicht nur auf die Fähre, sondern gleich über Nacht in einen Schlafsessel, der adequat ist für Kopf, Rumpf und Arme, aber unmöglich für Beine, denn man kann sie nicht hochlegen. So kann niemand schlafen. Bis zu 100% der Sesselmietenden haben auf dem Boden oder den reichlich über das Schiff verteilten Bänken geschlafen. Ich habe es mir irgendwie wie ein Schlangenmensch relativ gemütlich gemacht. Nächstes Mal packe ich einfach den Schlafsack ein. Aber es war billig, nur 5 Pfund für den Schlafsessel zusätzlich zum Fahrschein. Eine Kabine kostet um die 40 Pfund und liegt innen, hat also keine Fenster, das ist nicht schön. Von Plymouth nach Roscoff fährt man nachts, die Rückkehr findet jedoch tagsüber statt. 12 Stunden gegenüber 6 Stunden – die Fähre fährt nachts langsamer. Sie kommt immer pünktlich an.

Gerade war ich von einer heftigen Covidattacke genesen gewesen, einen Tag fühlte ich mich dabei wie eine Glühbirne, so ein Fieber hatte ich, dachte, ich leuchte im Dunkeln. Das hätte mir nicht geholfen, hatte zum Lesen echt keine Lust. Doch es ging steil nach oben. Nach den ersten drei miesen Tagen konnte ich bereits nach einer Woche bei sehr warmen Temperaturen in meinem Job als Gärtnerin arbeiten und dennoch abends frisch und fröhlich die Fähre besteigen. Diese Widerstandsfähigkeit hat mich wirklich gefreut, ein bisschen fit und halbwegs gesund essen scheinen wenigstens nicht zu schaden. Über Krankheiten zu reden ist öde, doch weil es ein neuer Infekt ist, dachte ich, ich sehe mal genau hin, ob ich ins Schema passe. Es gab keinen Geschmacks- und Geruchsverlust wie bei den Alphavarianten, dafür Müdigkeit schon bevor ich wusste, ich bin infiziert. Dazu ein nicht tief gehender Husten, der lange anhielt (dauert, bis die Lunge sich selbst gereinigt hat), Fieber, etwas Herzrasen – alles übliche Symptome eines Omikronvirusses.

Politikeinschub

Derweil ich angeschlagen war, ist die angeschlagene britische Regierung (endlich) gekentert. Boris Johnson ist fast zurückgetreten, aber immer noch da, da er sich selbst zum Interimspremier ernannt hat, was ethisch mal wieder zweifelhaft ist, aber legal. Die Parteimitglieder seiner Torypartei dürfen nun bis Herbst aus zwei von den Parlamentarier:innen der Torys vorausgewählten Kandidat:innen den/die nächsten Premier wählen. Das sind 150.000 potentielle Wählende für diesen minimalistischen Wahlzettel. Ist das demokratisch? Ja und nein, es ist immerhin partei-demokratisch. Erzwungene Neuwahlen sind natürlich volksnäher, doch in Deutschland verbleibt so ein Fall völlig im Parlament. Wenn ein Kanzler zurücktritt, schlägt der Bundespräsident jemanden vor, der mit absoluter Mehrheit gewählt werden müsste. Wenn der Bundestag das nicht macht, kann er (der Bundestag) jemand anderen wählen. Hat diese Person die absolute Mehrheit, muss der Präsident ihn oder sie ernennen. Hat diese Person nur die relative Mehrheit, also die meisten Stimmen aller Kandidat:innen, kann der Präsident sie ernennen oder aber Neuwahlen ansetzen. In keinem dieser Szenarien hat also das Volk oder irgendwelche Parteimitglieder ein Wahlrecht. Allerdings entscheidet das ganze Parlament, nicht nur die bisherige Mehrheitspartei(en).

Bei Mr. Johnson denkt man sich ja, schlimmer kann es nicht werden, doch wir werden sehen. Die beiden übrig gebliebenen Kandidat:innen haben in der Vergangenheit wenigstens etwas Integrität bewiesen, aber über den Tellerrand schauen, nicht nur flicken und reparieren, wo’s gerade brennt, ob sie das können, das wird man sehen.

Man wundert sich ohnehin, dass sich so viele Menschen dafür bewerben …

Die Rolle des britischen Premiers ist etwas anders als die des deutschen Bundesbämbels, es ist mehr auf Kooperation mit den Minister:innen und den eigenen Mehrheiten ausgerichtet. Einerseits. Andererseits ernennt und feuert er oder sie das Kabinett.
Premier war immer ein Schleudersitz. Seit 1945 hat es 15 verschiedene Premierminister:innen gegeben. In Deutschland sind es seit 1949 10 Kanzler:innen und da ist Walter Scheel mit dabei, der zwischen der Amtszeit von Willi Brandt und der von Helmut Schmidt nur für 9 Tage kommisarisch die Geschäfte geführt hat. Wir haben es also mit einer Relation von etwas über 5 Jahre pro Premier zu weit über 7 Jahren pro Kanzler:in (ohne Scheel sogar über 8 Jahre) zu tun. Vielleicht sagt das was über das parlamentarische System oder die Mentalität der Völker oder den Augenblick der Geschichte aus. Oder auch nicht, das kann ich nicht beurteilen. Jedenfalls hatte jeder Premier, oder in früherer Zeit die entsprechende Position, es hieß nicht immer Premier, immer eine Rückfahrkarte in der Tasche. Seit Robert Walpole 1721 der quasi erste halbwegs moderne Premier wurde, gab es 77 Amtszeiten, etliche Inhaber mehrmals in nicht aufeinanderfolgenden Amtsperioden. Das sind 3,9 Jahre pro zusammenhängender Amtszeit. Erscheint nicht viel.
Britain ist es gewohnt, dass es etwas rau zugeht und Verluste realisiert werden. Ohne die traditionellen Formalien würden die Messer gewetzt, so ist die großkotzige politische Rhetorik ein Ritual, das erwartet wird. Mr. Johnson ist sicher einer, der alle Möglichkeiten ausgereizt hat. Nun hat er sie überreizt.

Der Rest der Welt

Die Fähre, deren Hafen in Plymouth von mir (ich war dieses Mal alleine) in unter 15 Minuten mit dem Rad zu erreichen ist, fährt nach Roscoff in der Bretagne. Von dort liegt einem theoretisch nicht nur ein Kontinent zu Füßen, Europa, sondern man könnte auf dem Landweg sogar Asien und Afrika ansteuern. Verheißungsvolle Aussichten! Doch manchmal ist ganz einfach. Die Bretagne ist in vier Departements gegliedert, das um Roscoff heißt Finistère, Land-Ende. Weiter muss man gar nicht, denn es ist ein idealer Flecken Erde, Sandstrände, nette Dörfer, entspannter Familientourismus, der sich verläuft, Gemüseanbau und viel Ruhe. Ich wohnte in einer Pension bei Plouescat nur 25 km von Roscoff entfernt.

Der örtliche Hinkelstein.

Breton:innen und Cornwaller:innen sind Verwandte. Ihre Länder sind auch von der Geologie her ähnlich, aber es gibt auch viele Unterschiede. So gibt es in der Bretagne, soweit ich weiß, keine Bodenschätze wie z.B. den Zinn, das Kupfer und das Kaolin in Cornwall. Dafür erlebte das Land vor Hunderten von Jahren eine wohlhabende Phase mit der Woll- und Leinenproduktion und -verarbeitung und es gibt diese Menge an steinzeitlichen Gräbern und von Menschenhand bewegten Felsen.
Fisch und Meeresfrüchte stehen auf beiden Seiten des Ärmelkanals auf dem Speiseplan, es gibt Austern hüben wie drüben, aber so ein Frühstück wie die beiden unten gezeigten wird man lange suchen müssen.

Es war fast ein bisschen schade, dass das Wetter so gut war. Ich wohnte im Malzimmer, in dem tatsächlich kleine Leinwände und professionelle Pastellkreiden usw. zur Verfügung standen. An den Wänden hingen Werke ehemaliger Gäste. Eine sehr gute Idee, wenn der Wind pfeift und der Regen an die Glastür prasselt. Das war jedoch nicht der Fall, vielmehr sah es die 4 Tage meist so aus:

Strand in der Bretagne. Der Tidenhub beträgt 6-8 Meter, deshalb liegen die Boote die halbe Zeit auf dem Trockenen.

Die schon 2019 erwähnten Enclos (eingefriedete Ensembles aus Kirche, Gebeinhaus, Triumphbogenartiger Zugang und Kreuzigungsgruppe aus der reichen Woll- und Leinenzeit) sind auch immer eine beliebtes Radziel.

Ich habe all diese Dinge, Baden, Radeln, Essen keineswegs immer alleine gemacht. Nahebei hat die deutsche Familie L aus D wie jedes Jahr in wechselnder Besetzung den Monat Juli in Plouescat verbracht und mich gleich herzlich mit eingebunden. Sie waren es eigentlich, die uns schon 2019 gezeigt haben, wie interessant und fantastisch diese Gegend ist und man einfach die Weite des Himmels und das gute Essen eine Zeit lang auf sich wirken lassen kann. Zufrieden bin ich, dass ich mit Freund L. s elektrischem Fahrrad ganz gut mithalten konnte …

Und so stellt sich Plymouth dar, wenn man mit der Fähre ankommt. Die Säule des Kriegerdenkmals zeigt an, wo es zur Stadt hinunter geht und Smeaton’s Tower (der Leuchtturm) ist heute rein dekorativ, stand früher aber außerhalb des Sunds auf offener See und hat dort seine wichtige Arbeit verrichtet.
Man sieht, das Gras auf dem Hoe (der Hügel) ist braun, auch auf der Insel haben wir eine Trocken- und Hitzewelle.

Leute

Oder, wie man hier sagt: PEOPLE.

Kurz bevor mich Covid ein paar Tage ins Bett gezwungen hat, ergab sich die Gelegenheit, bei einem Kunstprojekt mitzumachen. In Plymouth ist wie immer viel los in der Kunstszene Von-allen-für-alle. Das ist lebendig (und gemalte Bilder sterben natürlich auch nicht aus). Für mich bedeutet dieses Mitmachen meist Teil eines Projektchores zu sein, doch dieses Mal handelte es sich darum, Teil eines Photos zu werden.

Dieses Bild ist auf dem Hoe entstanden, das ist der Mittelpunkt von Plymouth, wenn man das Meer einbezieht. Vor uns sehen wir die Hochfläche des Hoe mit dem Kriegerdenkmal und dann geht es in die Innenstadt hinein. Hinter uns befindet sich unmittelbar das Meer, nur 20 Meter den Hang hinunter.
Im Vordergrund der Schriftzug PEOPLE., gebildet aus Freiwilligen, die sich an dem Sonntagmorgen eingefunden hatten. Teilnahmebedingung: dass man irgendetwas unentgeltlich für die Gesellschaft tut.

In dem End-E befindet sich eine Person im kräftig grünen T-Shirt. Das ist Alena, meine Glockenkapitänin. Vor und hinter ihr sind weitere bell-ringer, auch ich, wenn ich auch auf dem Bild nicht wirklich zu sehen bin.

Und das kam so: Im Stadthaus hängen verschiedene Archivbilder in den Korridoren, darunter auch dieses:

Vor 40 Jahren gab es einen in Vergessenheit geratenen “Fun day”, Spaßtag, für Freiwillige und Mitarbeitende im Nachbarschafts- und sozialen Bereich. Dabei wurde das Wort People gebildet und von der Polizei fotografiert. Dieses Bild wurde von einem Duo aus zwei hiesigen Künstlerinnen entdeckt und eine Idee entstand: den Freiwilligen von Plymouth, dem Kleber, der Gesellschaften oft zusammenhält, ein kleines Denkmal zu setzen. Aufgerufen waren alle, die irgend etwas freiwillig in der Stadt machen. Von Besuchsdiensten zum Fußballtraining, Nachbarschaftshilfe, Engagement zeigen. Freiwillige halt. Wir Glockenläutenden wurden speziell eingeladen, eine von uns ist auch Künstlerin, so hatten wir den Draht zu den Veranstalterinnen. Dieses Mal mussten wir nicht auf einen Polizeihubschrauber warten, die Technik ist fortgeschritten, es kam eine Drohne zum Einsatz.

Man sieht uns etwas in der Hand halten, das ist das abgebildete gelbe Heft. Darin befindet sich ein kleiner Dialog, der von den Veranstaltenden und uns vorgetragen wurde. Es ging erwartbar darum, dass ohne Leute gar nichts geht und Engagement Freude bereitet. Diese gemeinsame Aktion war wirklich schön und etwas bewegend, und in dem Moment standen wir für alle, die in der Stadt engagiert sind.
Das Bild mit uns allen “PEOPLE” wird ab Herbst auf einer riesigen Plakatwand in der Stadt zu sehen sein. Damit die Freiwilligen nicht wieder im Archiv verschwinden.

Bayrische Seen

und andere Vergnügungen im extra schön herausgeputzten Deutschland. Nach zweieinhalb Jahren und mit Hilfe von 5 Verkehrsmitteln (halbe Stunde Beine, 3 Stunden Bus, 1 Stunde Flieger, 8 statt 6 Stunden in 3 Zügen und 5 Minuten Auto) in dem schmucken Freizeitpark Bayern angekommen. So sieht es von meiner Warte aus – aus. Urlaubsland!!!

In meinem Elternhaus gab es jeden Abend: Igel-TV, denn Igel werden jeden Tag mit Futter angelockt, das die Knaben und Knäbinnen dann unverschämt laut knirpschen. Ein endlos unterhaltendes Schauspiel, kein Fern-, sondern Nahsehen. Nichts ist schöner als beim abendlichen Kartenspielen Geraschel in der Hecke zu hören und dann huschen sie herum, fast um die Beine.
Nach einigen Nächten kamen die Glühwürmchen hinzu und eine einsame Fledermaus drehte ihre Runden. Ein echtes Kleinstadtidyll das.

Ich habe Deutschland wiedererkannt, war ganz einfach. Sieht immer noch geputzt aus, sauber (ja, ja, ja, so wenig Müll auf den Straßen, großartig!), gepflegt, reich. Die Leute scheinen immer meckeriger zu werden, das war das einzig Schade. Es wäre nett, wenn die endlose Anzahl schöner und funktionierender Dinge auch mal betrachtet und Erwähnung finden würde. z.B. habe ich mir in Frankfurt nach der Landung sofort, obwohl ich noch einen ICE-Anschluss hatte, ein 9 Euro Ticket gekauft. Was für ein schönes Gefühl, man kommt an und bekommt etwas Vernünftiges quasi geschenkt. Nix Unnützes, was einstaubt oder gleich kaputtgeht. Ich habe es auch gut genutzt, am Feiertag, zu Stoßzeiten, auf Hauptstrecken, ich bekam immer einen Sitzplatz und alle anderen auch. Dennoch wurde es in Gesprächen mit Misstrauen und, natürlich, Besserwissen, begrüßt. Zu gut, um wahr zu sein. Steuerverschwendung. Hätte man viel früher machen sollen. Sollte man nicht nur für drei Monate machen. Hätte man gar nicht machen sollen. Bringt die Bahn in Misskredit, weil alles zu voll wird, kann kommen noch weniger Leute. Und das nach nur einer Woche Erfahrung mit dem Ticket! Beeindruckende Hellseherei hier.
Und richtig, mein Zug fiel mal aus, aber im nächsten waren nicht übermäßig viele Leute. Alles unter Kontrolle. Ich stand im Münchener Hauptbahnhof, der gerade anfängt, umgebaut zu werden und fand es sehr stressig, dies ist ein Riesenumschlagplatz für Menschen, es war so voll, wird Zeit, dass die Leute mehr Platz finden. Auf der anderen Seite, da kam ein Zug aus Rimini, da erhielten Reisende aus Hintertupfingen noch Anschluss nach Stuttgart, ein anderer Zug steuerte Nürnberg an und Paris geht immer. Dass so etwas überhaupt funktioniert, ich bewundere das. Da stecken viel Arbeit und Jahrzehnte Erfahrung drin. Man muss auch nicht den Schaffner bestechen, um reinzukommen in den Zug, und das Gleisbett ist nicht mit Billigzement verwackelt worden und investitiert wird auch. In England sind nicht einmal alle Linien elektrifiziert.

Dann gibt es auch Coronamaßnahmen, aber diejenigen der 80 Millionen Virologen und Virologinnen, die Deutschland bewohnen, mit denen ich sprechen konnte, sind sich zwar uneinig unter sich, aber irgendwie doch darin einig, dass jede gemachte Maßnahme ein Schmarrn, sogar gefährlich oder schlicht überflüssig war und gleichzeitig jede mögliche Maßnahme, die nicht gemacht wurde, die einzig richtige gewesen wäre. Vermutlich sind die Wählerinnen und Wähler schuld, denn sie haben die einzigen Nicht-Virolog:innen des Landes in die Regierung gewählt. Das scheint mir die logische Auflösung dieses Rätsel zu sein. Ich will das nicht kleinreden, ich nehme an, die Psyche des perfekten Deutschland hat sich von der Schockwelle der Ereignisse noch nicht erholt, wer wollte es ihr verdenken. Bin schließlich auch sehr deutsch. Da kann man schon mal nach einfachen Lösungen suchen oder der Ansicht sein: das war nicht perfekt, doch es muss eine perfekte Lösung geben. Es muss!

Ich saß einfach in den Zügen und ließ es mir (mit Maske) gutgehen. Wie die Pendler:innen, die sich von ihrer 3-monatigen Ersparnis jetzt hoffentlich genügend hochwertiges Essen im teuren München leisten können. Und ein paar Halbe. Fahren müssen sie ja nicht. Alle anderen: wartet doch die drei Monate erst mal ab, dann könnt ihr immer noch kritisieren. Wenn euch zwischendurch langweilig wird, findet ihr auch noch was anderes. Okay, ich weiß, das macht mich auch zur sauren Motzerin, dieses Motzen über Motzende, aber ich musste diese Welle an Negativität, die da an mich heranwallt kam, erst einmal verarbeiten. Das ganze Land schien gewillt, sich bei mir zu beschweren. Vielleicht liegt es am Gesicht?

Ich bin einfach baden gegangen, in zwei Seen, und habe im Schwimmbad hechten geübt. Zeit optimal genutzt.

Bogen schlagen

zur Bogenbrücke. Wollte ich nur erwähnen, eine Meisterleistung der Ingenieurskunst. Wir sind hinübergefahren, auf dem Weg zu einem Markt und der Wieskirche.

Die Echelsbacherbrücke ist fast 100 Jahre alt und überspannt das tief eingeschnittene Tal der Ammer. Im Baujahr 1929 war sie mit 130 m die weitestgespannte Bogenbrücke ihrer Art der Welt. In den letzten Jahren wurde sie komplett erneuert (im Bild rechts sieht man im Hintergrund die eigens errichtete Behelfsbrücke), denn sie ist weiterhin notwendig. Selbst heute wären zu große Umwege zu fahren, wenn hier keine Brücke stände. Was beim Benutzen auffällt, sind die hohen und bewehrten Brückengeländer – leider hat die Brücke traurige Selbstmordrekorde geschlagen, das soll unterbunden werden. Es gibt aber extra eine Untersichtsplattform mit Parkplatz, damit man die Brücke gefahrlos bewundern kann.

Nochmal Chiemsee.

Platin hatte bisher keine Farbe

Doch jetzt ist es sowohl weiß als auch rot als auch blaue. Es ist ein Rekord, 70 Jahre Thron, vermutlich einzigartig auf der Welt. Wenn man Throne für nötig hält …

Noch eine Farbe kommt dazu, das offizielle Emblem jedoch ist lila wie die neue U-Bahnlinie, die Elisabeth Line und sieht ganz nett aus. Über der Krone ist stilisiert eine 70 zu erkennen, wenn man genau hinsieht. Man kann es auf folgendem Dokument sehen:

Meine Turmkapitänin hat uns das nach dem Sonntagsläuten geschickt. Bit of funf – ein bisschen Spaß.

Dabei ist das so eine Sache mit den Daten. Für manche Leute gilt eine andere Zeitmessung. So hat Elisabeth II von alters her zwei Geburtstage, einen biologischen und einen, der besser zum Feiern passt (finde ich als Winter geborene gar keine schlechte Idee übrigens). Königin wurde sie irgendwie im Februar 1952, beim Ableben ihres Vaters, gekrönt aber zweiten Juni 1953. Dazwischen also das Jubiläum, Pi mal Daumen. Da wird kreativ mit Daten umgegangen, aber wollen wir mal nicht so sein. Weder 1952 noch 1953 hat irgendjemand erwartet, dass ein Ereignis “Platinum Jubilee” stattfinden würde.

Den Britischen wurde (um von der politischen Lage abzulenken?) ein extra Feiertag spendiert; dazu wurde ein Feiertag, der End-Mai-Feiertag, verlegt, so dass alle, Royalist:in oder nicht, ein viertägiges Wochenende hatten. Es gab Tausende Straßenfeiern, Zäune wurden mit Flaggen geschmückt, daz ein Riesen offizielles Programm. An dem Elisabeth nur kurz teilnehmen konnte, denn sie ist alt geworden, das ist nicht zu ändern.
Von dem offiziellen Programm ist bestimmt sehr viel in den Deutschen Medien übertragen worden, ich kenne so viele Deutsche, die die Royals besser als manche Einheimische kennen und auch ich weiß weitaus mehr, als ich je wissen wollte. Doch hier geht es um ein historisches Ereignis.

Obwohl, hm ….
Charles und Camilla sind tatsächlich bei einer der wichtigsten Soaps (Eastenders, eine tägliche Vorabendserie, so was wie Lindenstraße) aufgetreten. Als sie selbst, nämlich die Jubiläumsfeier in der Soap besuchend. Das nennt man wohl volksnah. Und die Queen hat wirklich in einem Sketch mitgemacht mit dem berühmten Paddingtonbären, dem aus Peru, in dem sie mit ihm im Buckingham Palast Tee trinkt und sie sich gegenseitig ihre Marmeladenbrote zeigen, die sie zum Vorrat immer bei sich tragen. Paddingtonbär im Hut, die Queen in ihrer Handtasche. Das ist WIRKLICH süß und kann auf youtube angesehen werden, wer’s noch nicht gesehen hat. Dafür muss man auch kein Englisch können.

Kritische Worte waren nicht zu hören, z.B. zu dieser ganzen disfunktionalen Familie und der Unnötigkeit einer Monarchie, es wurde wieder mal das Durchhaltevermögen gefeiert. Derweil brodelt es sogar in der konservativen Partei (das sind die, die gerade eine fette Mehrheit haben), ob sie nicht doch genug von Boris und seinen unendlichen Lügen haben.

Naja, ich habe ja auch geläutet und ein Stück Torte gegessen. Hier ein paar Details aus der Region, die es nicht ins Fernsehen geschafft haben:

Völlig zusammenhanglos eigentlich mit einem Jubiläum und herrlich sinnfrei, aber dafür umso charmanter und lustiger, hat Plymouth die Gelegenheit genutzt in seinem Strandbad, dem Lido, einen Weltrekord zu brechen, nämlich den der meisten Meerjungfrauen (und -männer). Eine Frau aus meinem Chor nahm mit ihrem Sohn teil und ich habe das bunte Treiben nach einer Runde Schwimmen im angrenzenden Meer von der Terrasse aus beobachtet. Ich bin sogar von hinten auf diesem Foto zu sehen (grauer Pferdeschwanz, Mitte links im Bild, mein Kopf ragt in einen hellen Streifen hinein)

388 Nixusse und Nixen, wo kriegen die bloß ihre Fischschwänze her? Aus dem Internet, vermute ich.

Mit – Basssängerin Becky mit Sohn Lewin. Und Perücken.

Mein Chor hatte schon am Wochenende davor in einem Park gesungen, leider ohne mich, denn ich war heiser. Das ist nur ein weiteres Beispiel für die vielen, vielen Events, die überall zusammenkamen.

Ach ja, und ein Stück Kuchen habe ich auch noch abbekommen. Gebacken vom Pfarrer, mit Fondant verkleidet von seiner Frau, die eine ausgezeichnete Glockenläuterin ist und verziert von jemandem aus der Gemeinde.
Dort hatte ich vor dem Abendläuten einen netten Nachmittag mit rot-blau-weiß und dem Absingen der Nationalhymne God save the Queen.

Letzte Ruhe

Nicht für uns, doch unser letztes Gebäude ist die Klosteranlage von Fontevraud, in der ein Männer- und Frauenkloster miteinander existierten, unter der Leitung von Äbtissinnen. Dieses “Experiment” zog viel Missgunst und üble Nachrede auf sich, wegen der Frauenpower natürlich, doch hat 700 Jahre gehalten. Da sollte die experimentale Phase vorbei sein. Erst die Auflösung der Klöster im Zuge der Französischen Revolution machte dem Arrangement ein Ende.

Napoleon baute danach den Komplex zu einem schnell berühmt berüchtigten Gefängnis um und das blieb Fontevraud bis in die 1960er. Von der Inneneinrichtung gibt es nur noch Reste der Malereien, doch die Struktur, das Hohe und Schlichte der Räume ist erlebbar.
Die wichtigste “Bewohnerin” ab 1204 wurde in all den Jahrhunderten nicht verschleppt, sie und drei weitere königliche Sarkophage ruhen noch / wieder in der Kirche. Entworfen wurden sie von dieser Verstorbenen, Eleanor von Aquitanien, die ihre letzten Lebensjahre hier verbrachte. Einer ihrer Ehemänner, Henry II., ihr Lieblingssohn Richard Löwenherz und dessen Frau Isabella von Angouleme liegen bei ihr. Zwei Könige von England. Richard ist der, der in der Robin Hood Geschichte immer gut wegkommt, leider zu Unrecht, ihm fiel auch nichts Besseres als teures Kriegsführen ein, er ist nicht der strahlende Retter.

Eleonore ist eine treibende Kraft ihrer ganzen Epoche gewesen, ein Leben wie im Film, das erst mit 82 Jahren zu Ende ging. Nur Königin von Frankreich konnte sie nicht werden, da Frauen dort fast in fanatischer Weise von der Thronfolge ausgeschlossen waren. Als Begründung diente altes salisches (fränkisches) Recht, das Frauen Grundbesitz untersagte, und die Salbung der Könige, die automatisch damit Kirchenaufgaben übernahmen, fast Priester waren. Da konnte man dem Pakt zwischen Vatikan und Königshäusern nicht dazwischenfunken. Frauen galten bis zu einem Konzil im 16. Jahrhundert nicht einmal als Menschen, geschweige denn als salbbar, sondern als Ding mit Gebärmutter (so die offizielle Definition!), hatten folglich wenig Chancen auf der Leitungsebene. Nicht nur, aber auf jeden Fall in der französischen Welt. Es gibt viele Länder, in denen das immer noch so ist und das ist das eigentlich traurige daran.


Eleonore stellte sich mit Buch dar. Sie wollte tatsächlich ihre Bildung zeigen.
Kreuzgang der Frauen.
Alte Küchengebäude.
Durchfahrt

Jeden Tag Kuckucksrufe, Grillenzirpen und Fröschegeschrei, Schwalben fliegen sehen, einem Käuzchen lauschen und die ersten großen Glockenblumen. Wer sich Zeit nimmt, kann viel erleben.

Auf den letzten Metern vor unserem Zielpunkt Saumur dann noch ein völlig unerwartetes Schmankerl: ein mittelalterlicher Markt in den Fels gehauen (nicht mehr aktiv). Der Radweg führt einfach hindurch, das war eine Überraschung, mitten hinein in die Sehenswürdigkeit.

Später sürzte manches Dach ein, wie ein Karstloch.
Sogar auf zwei Ebenen.

Wir haben auf unseren Wegen wenig Pedelecs gesehen, doch es gibt Infrastruktur. Die Gemeinde mit dem Höhlenmarkt hat z.B. Schließfächer aufgestellt, in denen man seine Batterie einschließt. In den Fächern befinden sich Steckdosen zum Aufladen. Kostet nicht mal was. Clever.

Kein Fazit

Was man in Frankreich tun sollte: Zug fahren. Pünktlich, sauber und Eins A gepflegte Gleisanlagen. Selbst der letzte Bummelzug fährt butterweich über jede Weiche. Mein Test dazu: vor dem Halt, wenn man schon an der Tür steht, ohne sich festzuhalten, stehen. Ich habe eine gute Balance, doch das geht weder in Deutschland noch in den UK so richtig gut. In Frankreich war es kein Problem. Da es ein Angebot gab, eine Strecke für buchstäblich 2 Euro mehr in der Ersten Klasse zu fahren, haben wir auch das ausprobiert – anstatt 4 Sitzen drei in der Reihe, wie ein Sessel, das tut dem Hintern, der vom harten Sattel nicht verwöhnt ist, richtig gut.

Das Land war auch so schön sauber … Frankreich und Deutschland sind ja sehr unterschiedlich, Mentalität, Lebensgefühl, Kultur, schon sehr anders. Aber Müll auf den Straßen? Nein danke. Leider anders in England, da wird öffentlicher Raum von zu wenigen Menschen geschätzt. Wir kennen aber nur die Leute, die den Müll aufheben bzw. erst gar nicht wegwerfen. Viele Leute kümmert es nicht, wenn die Mülltonnen mal wieder vom Wind umgeweht werden. Man könnte sie ja festketten …

Was man nicht machen sollte: sich auf Öffnungszeiten von Geschäften verlassen und auf Restaurants. Das liegt nicht unbedingt nur an einer gallischen laissez-faire Mentalität, wir haben gelernt, dass es auch, wie in England, seit Covid einen Personalmangel in der Gastronomie und Serviceindustrie gibt. Also immer eine Packung Nüsse dabei haben und bei jedem Bäcker auftanken, das Restaurant könnte auch beim besten Willen der Betreibenden geschlossen bleiben! Es ist uns nur einmal passiert, aber genau zum unrechten Zeitpunkt. Unsere Taschen waren gerade leer gefuttert.

Was will man mehr als Wiesen voller Butterblumen?

Komplizierte Verhältnisse

Die vielen Schlösser der Renaissance im Loiretal dienten oft mehr zur Zierde und als Extraresidenz oder als Königssitz in Zeiten, in denen man sich in seinem Kernland sicher fühlen konnte. Jedenfalls vor feindlichen Armeen. In der Festung von Chinon dagegen entschieden sich die Schicksale ganzer Reiche.

Doch zuerst: wir haben es geschafft und etwas nicht Schlössisches besucht.

Höhlenleben

Die weichen Kalksteinfelsen der Region dienen seit langer Zeit den Winzern als Weinlager. Überall sieht man die Tore in die Felswände hinein.

Weingut in Chinon.

Doch diese Tradition des Unterschlupfs geht weiter zurück. Nahe Azay-le-Rideau wurden in den 90ern vergessene Wohnhöhlen wiederentdeckt, die immerhin bis weit ins 19. Jahrhundert eintausend Jahre lang Menschen als Bauernhaus dienten. Leider mussten die Menschen, die bestimmt nicht zu den Reichsten zählten, zusätzlich Schutzhöhlen anlegen, da man immer wieder Verstecke vor z.B. Söldnerhorden benötigte, die jahrhundertelang ihr Unwesen trieben. Wie erfolgreich man damit war, ist nicht bekannt. Ein Besuch in einem etwas anderen Bauernhofmuseum.

Typische Einraumbauernhöhle
Das eigene Getreide wurde verbacken.

Heute ist das Museum ein idyllisches Plätzchen, das den Einfallsreichtum und die Überlebensfähigkeit der Landwirte feiert. Mit Esel, Schwein und grauen Tourrainehasen (lokale Rasse). Und natürlich Gänsen.

Chinon

Auch in den Stein gehauen ist die Festung von Chinon, einem lieblichen Städtchen am Ufer der Vienne, eines Loirezuflusses. Die Gewerbegebiete liegen über der Talanhöhe, auf deren Kante die Festung von Chinon thront, im Flusstal die Innenstadt. Die Vienne fließt still vor sich hin, doch an dem Wintertreibholz an den Brückenpfeilern kann man sehen, wie reißend sie werden kann. Ganze Baumstämme haben sich verkeilt.

Ufer der Vienne
Chinon

Die heutige Festung rührt aus dem 10. Jahrhundert und wurde auf römischen Vorgängeranlagen errichtet. Im 11. Jahrhundert war sie Teil der englischen Besitzungen auf französischem Boden. Das waren alles sehr komplizierte Verhältnisse. Die Normannen hatten England erobert, aber ihr Geschlecht starb bald aus. Durch Heirat waren sie längst mit anderen Herrschergeschlechtern des heutigen Frankreich verwandt. So entstand die Situation, dass Johann Ohneland, der jüngste Sohn, deshalb ohne Land, durch Tod seines Bruders Richard Löwenherz nun doch Land hatte und zwar als König von England souverän, als Herrscher von Aquitanien als Vasall des französischen Königs so halb souverän. Johann Ohneland ist der, der in der Robin Hood Geschichte immer so schlecht wegkommt und nicht zu Unrecht. Er schaffte es, es sich mit allen zu verderben ( das ist die Kurzversion ) und verlor 1205 nach monatelanger und erfolgreicher Belagerung Chinons durch den französischen König, der direkt König nur um die Pariser Gegend war, letztendlich alle Besitzungen auf dem Kontinent. Damit war die Doppelbeherrschung Englands und Frankreichs durch ein Haus praktisch gestorben, auch wenn noch jahrhundertelang, z.B. im 100jährigen Krieg, zwischen Adelshäusern dies- und jenseits des Kanals gekämpft wurde.

Burg von der Altstadt aus gesehen.

John Ohneland wird in England auch der schlechte König genannt ( bad John ) und alsbald gezwungen, die Magna Carta zu unterschreiben, die er zwar nicht einhalten wollte, doch die wie ein Schwelbrand weitreichende Folgen für die gesellschaftliche Entwicklung Englands haben sollte.

Im 15. Jahrhundert traf Johanna von Orléans in Chinon auf Karl den VII. und überzeugte ihn, ihr die Heeresführung anzuvertrauen.

Man weiß auch, wo sie bei ihrem Aufenthalt gewohnt hat und kann hinein. Heute sind alle erhaltenen Räume kahl, doch mit Hilfe eines Tablets, das man am Eingang erhält, kann man, im Raum stehend, jeden auch möbliert und bewohnt erleben. Für einen Eindruck ist so eine virtuelle Realität gar nicht schlecht.

Einer der Wehrtürme. Man kann in alle Türme hinein. Geschätzte Zahl aller erklommenen Stufen: 250 einfach.

Blick auf das Tal.

In Chinon wurden auch wichtige Tempelritter eingekerkert. Der Papst wollte eine Wiedereingliederung in die Kirche, doch der französische König, der die Verfolgung aus Gewinnsucht quasi angefangen hatte, wollte ihre Schätze und Ländereien doch lieber behalten und ließ sie hinrichten. Johann Ohneland war nicht der einzige schlechte König, die Liste ist endlos.

Tour nach Tours

Ich weiß, was für ein schlechter Titel, doch was für eine schöne Stadt. Wir erreichen sie direkt entlang der Loire, wo die mittlere Brücke Leuten zu Fuß oder mit dem Rad vorbehalten ist. Wir finden auch gleich ein Radgeschäft, das ein Problem mit dem Mechanismus von Ks Lenkerwinkeleinstellung behebt und uns erklärt, wie das System zusammenhängt. Es scheint zu sein, dass noch nie jemand den Lenker verstellen wollte, denn eine Verbindung ist falsch zusammengefügt, wir hatten keine Chance, das stabil hinzubekommen.

Dann noch das Hotel mit Schwimmbad gefunden, dieses Mal sogar ein 4 Sterne, läuft gut für Tours.

Hotelfoyer
Wunderschöne Kathedrale.

Ein Abend in der freundlichen Altstadt und am Hauptplatz in einer Brasserie (Brauhaus) und auf den nächsten Tag, den 1. Maifeiertag, gewartet. Und richtig, hier wird der ernst genommen. Bestimmt über 1000 Menschen demonstrieren auf dem großen Boulevard, dies ist nur der Kopf der Bauernverbände, Gewerkschaften und anderer gesellschaftlicher Gruppen:

Über diesen Boulevard links verlassen wir auch die Stadt. Die Bus- und Radspur befindet sich auf der Mitte der Fahrbahn, die Autos fahren am Rand. Ein ganz ungewohntes Gefühl und fast unheimlich, dass man mal ernst genommen wird.

Den ganzen Tag bekommt man übrigens Maiglöckchenbüschel angeboten, das scheint typisch zu sein. Ist aber unpraktisch für uns. So radeln wir wieder mal im Sonnenschein, unverschämtes Glück mit dem Wetter, durch Naherholungsgebiete mit fitten Französ:innen ( schwimmen, joggen, Freiluftfitnessparcours, Golf ) an Loire und Cher entlang, lauschen den Kuckucken, sehen einen Buntspecht und verpassen fast aus Übersättigung eine nächste Sehenswürdigkeit, die seit 110 Jahren wiedererstandenen Renaissancegärten von Schloss Villandry.

Ein grünes Wunder

Das wäre wirklich schade gewesen. Alleine das Schattenspiel der gerade austreibenden Bäume ist sehenswert.

Blick mit Dorfkirche

Die Anlage besteht aus Etagen und einer Mischung aus Flaniermeilen, Zierbeeten mit z.B. Buchs in Herzformen und Nutzgärten, wo in Buxpaneele farbkoordiniert und mit Fruchtwechsel Salate und Gemüse angebaut werden. Im Ergebnis sind die Gemüsebeete genauso schön wie die Zierbereiche. 52 km lang wären alle Buxsträucher, wenn man sie nebeneinander reihen würde. Beachtlich.

Schloss, Land, Fluss

Schloss Chenonceau mit Katharina von Medici Garten
Diese bekannte Ansicht kann man ganz umsonst vom Radweg aus haben.

Schloss Chenonceau in der Gemeinde Chenonceaux, das unsere englisch sprechende Appstimme Eric zur großen Erheiterung Tschennensoak ausspricht ( franz. beide Namen identisch ungefähr Schönosó ausgesprochen ) erstand am Standort einer Mühle über den Cher, einem Nebenfluss der Loire. Die vorhandene Holzbrücke wurde später in eine Steinbrücke mit doppelter Galerie verwandelt, die einem reichen Partyleben dienten, während in anderen Räumen ein riesiges Land regiert wurde. Von Menschen wie Katherina von Medici, die niemand als Regentin für dreier ihrer Söhne auf dem Schirm hatte, sonst hätte man die Kaufmannstochter aus Italien nie mit dem jüngeren Bruder des Königs verheiratet. Dieser verstarb unerwartet und schon war sie Königin, nach einem schon vorher absurden Achterbahnleben als Spielball der Allianzen.

Eigentlich erstaunlich, die Menschen wussten, dass ihre Lebenserwartung gering war, jeder Husten tödlich sein konnte, und doch planten sie, als könnten sie alles im Griff haben. Sie sind uns damit doch nahe, selbst in ihrer unpraktischen Kleidung und mit ihren strengen Mienen.

Blick vom Schloss auf den Cher.

Es gibt große Schlösser, kleine Schlösser, gedrungene und feine Schlösser, Weingutanlagen und Sommerresidenzen, und alle könnten nirgendwo stehen als in Frankreich. Natürlich macht unser Tourplan auch andere Vorschläge, Weinproben -mit dem Rad ein bisschen kritisch – Pilzzüchtereien, Mühlen, Museen gibt es auch ( Wetter zu gut ), aber ein Schloss lockt halt doch und so bleiben sie unser Schwerpunkt. Neben km langen Fahrten durch Weinberge, Jagdwälder und an Flüssen entlang. Es gibt Orchideen in den naturbelassenen Wiesen und gepflanzte Iris an den Hecken, Hasen im Feld und einen eingezäunten Poitieresel. Das sind diese Riesenesel, die es mal im Münchener Zoo gab. Schlecht gelaunt, aber machen was her. Toll, so etwas in einem Dorf zu sehen. Am schönsten ist es, durch die Natur zu radeln, bei einer Bäckerei einen Eclair zu essen und den zahlreichen Kuckucken zu lauschen. Bis zum nächsten Schloss.

Ab dem 14. Jahrhundert im 100jährigen Krieg als Verteidigung gegen England errichtet, wurde das Loiretal schlossreich und Zentrum der Macht und höfischen Lebens der Renaissance. Auch nachdem die Regierung wieder nach Paris gezogen war, blieb man der Gegend für Jagd und Sommerfrische treu. Es sind etwa 220 km bis Paris, auch in alten Zeiten keine zu große Entfernung. Wie die Menschen früher eine Vorstellung ihres Anspruchsgebiet oder ihres Landes hatten, ist schwer nachzuvollziehen. Aber es hat seit Jahrtausenden gut funktioniert. Ab einem gewissen Organisationsgrad einer Gesellschaft kann man sich verwalten. Arbeitsteilung, Infrastruktur über Wasserwege, die See und einige Straßen, ausreichend ( oder auch nicht) Kommunikation. Und Armeen, denn Nachbarn waren grundsätzlich unfreundlich.

Iris werden überall gepflanzt, wie die Märzenbecher an Englands Straßen.
Sumpfknabenkraut ( Anacamptris )
Platanen und belgisches Bier

Endlich gibt es überall Platanenalleen, etwas was man vielleicht mehr mit Südfrankreich verbindet. Gastronomisch herrscht viel der Norden, belgische Biere sind an der Tagesordnung, die regionale Küche scheint herzhaft nördlich zu sein, weniger schon mediterran. Regionalen Wein muss man, denke ich, nicht extra erwähnen, in Frankreich wächst an jeder Ecke das eine oder andere Fläschchen heran.