Schock
Am 8. September 2022 ist Elisabeth II verstorben, nach über 70 Jahren auf dem Thron und mit 96 Jahren. Weltweit wurde dies mit sanfter Überraschung wahrgenommen. Lange erwartet und doch nicht wirklich damit gerechnet. Die Queen war eine Konstante auf einer Erde, die während ihres langen Lebens so viele tief greifende Veränderungen durchlaufen hat, wie vielleicht nie zuvor in der Menschheitsgeschichte. Superlative zu bemühen, erscheint hier angemessen.
Royalistinnen und Antimonarchisten sowie Menschen, die sich als neutral empfinden, Leute von hier und von woanders, alle waren sie betroffen, manche zu ihrer eigenen Überraschung. Das Ereignis hat emotionale Reaktionen hervorgerufen und viele dazu gebracht, über ihr Verständnis zum Königshaus, zum öffentlichen Leben, zur Lage der Nation ein bisschen nachzudenken.
Viele wollten ihre Verwirrung kanalisieren und etwas tun. So sind sie z.B. nach London gereist, um sich in die Warteschlange nach Westminster Hall, in der die sterblichen Überreste aufgebahrt waren, einzureihen. Dieses scheint ein Erlebnis an sich gewesen zu sein, es hat den Menschen geholfen, sich als Teil einer Gemeinschaft verstehen zu können. Die Zahlen sind gewaltig: über 400.000 Menschen haben angestanden und ihren Respekt bekundet Das macht man nicht, um einen Sarg mit einer drapierten mehrfarbigen Fahne zu sehen. Das macht man, um persönlich mit einem Ruck der Geschichte klarzukommen.
Die Berichterstattung fand 24 Stunden statt, die ganzen Tage bis zum Begräbnis. Viel konnte man daraus lernen, Details hier, historische Fakten dort, oder besser auf dem kommentarlosen Kanal die Ereignisse verfolgen, so wie sie stattfanden. Sehr beruhigend. Weitaus beruhigender als wenn Hofschranzen und Royals-Berichterstattende ihren Senf zu allem und jeden gaben, jede Regung im Gesicht und jedes Wort der noch lebenden Königsfamilie zu Tode analysierten und man merkte, wie wichtig sie sich fühlten, nahe dem Zentrum der Macht zu sein, endlich fanden sie das Gehör, das sie schon immer verdient zu haben glaubten. Bei der Gelegenheit fand gleich noch eine Heiligsprechung der Elisabeth II statt und es war besser, auf stumm zu schalten.
Viel realer war es, etwa zu sehen, wie der Sarg vor der Überführung nach London von schottischen Soldaten aus dem Leichenwagen in die Kathedrale von Edinburgh getragen wurde. Ein Paradeakt der Perfektion. Wie schwer der mit Blei ausgeschlagene Eichensarg war, konnte man an den angestrengten Gesichtern der jungen Männer sehen, doch auch ihren Willen, ihren Part mit Stolz und reibungslos über die Bühne zu bringen. Was ihnen auch gelungen ist. Sie haben jetzt etwas, was sie ihren Enkelkindern erzählen können.
Der Wochenplan für den neuen König Charles III war derart gnadenlos mit Reisen und Reden und religiösen Zeremonien vollgestopft, dass man nicht weiß, ob man Mitleid haben soll oder lachen über den ganzen Pomp.
Die Zeit mit der Queen
Und natürlich haben die Menschen in Erinnerungen gekramt, wann man wie etwas mit der Queen zu tun hatte, oder welche Ereignisse im Gedächtnis geblieben sind. Da war die Fernsehsendung ca. 1969, die die Royals zum esten Mal privater gezeigt hat und die von einigen als skandalös unpassend empfunden wurde, so dass sie wieder aus dem Programm verschwand. Da war das Ende des Radioprogrammes BBC4, das bis heute mit der Nationalhymne endet. Die Nationalhymne ist insofern ungewöhnlich, weil der Monarch, die Monarchin direkt angesprochen wird, es geht nicht um das Land, sondern um die Person, die für das ganze Land steht. God save the Queen haben alle gesungen und müssen sich nun umgewöhnen. Eine Bekannte, eine Sängerin, hat sich das im Kopf vorgesungen, stolperte über Queen und hat sich rasch umentschieden: heraus kam God save the Qu-ing. Großartig! Sie war es auch, die mit 17 mit ihrer Mutter am Rande des Hydeparks in London campiert hat, um 1953 die Krönungsprozession nicht zu verpassen. Das war ein Jahr bevor im Königreich die letzten Lebensmittelmarken und damit die letzten Rationierungen aufgehoben wurden. Was der jungen Frau in Erinnerung blieb, war die Vorüberfahrt der Salote Tupou III, der regierenden Königin von Tonga, die, wie im Internet nachzulesen ist, durch ihren Charme auf dieser Prozession allgemein einen fabelhaften Eindruck hinterlassen hat. Und sie war 1,91m groß.
Andere haben ihre Fotos gezeigt, in dem sie mit von den Müttern genähten Kostümen für die Krönungsparty angezogen waren. Sogar als Königin verkleidet! Der Niedergang der Monarchie im Zuges des Todes von Diana wurde auch erwähnt, vor allem aber die endlich einsetzende Lernfähigkeit, endlich mit der falschen Art von Distanzierung vom Volk aufzuhören. Die königliche Familie ist kein Vorbild, sie ist mehr Eastenders (das ist die englische Version der „Lindenstraße“, in der es nur disfunktionale Familien gibt) als Modellfamilie und als sie das zugegeben hatten, hat man sie wieder besser akzeptiert. Und so ging es bis heute …
Der passende Soundtrack
Für mich war sofort klar, was das Ableben bedeutet: jede Menge Gelegenheit zu läuten. Ich spielte wirklich eine Rolle in dieser nationalen Anstrengung. Als überzeugte Demokratin und Nichtroyalistin sehe ich keinen Widerspruch darin, zu einem würdigen „Send-off“, einer schönen Leich, wie man in Bayern sagt, beizutragen. Unsere Rolle an der Glocke ist es, für Gottesdienste zu läuten und für Ereignisse, die Würde und Tragweite benötigen. (Wir haben sogar einige Glocken, so viele es ging, um dem Coronaabstand zu genügen, zur Beerdigung von Prinz Philip geläutet).
Bei Todesfällen oder am Erinnerungstag, das ist um Allerheiligen herum, wird halb gedämpft geläutet. D.h. die Klöppel werden einseitig mit Leder verhüllt, man erhält einen klaren Schlag und einen wie ein Echo. Sehr feierlich und wunderschön zu läuten. Nun wurde, soweit möglich, komplett gedämpft, mit der Ausnahme des Tenors, das ist die schwerste und dadurch am tiefsten gestimmte Glocke, der blieb halb gedämpft. D.h., was immer man geläutet hat diese Woche, alles war gedämpft, wie durch einen Schleier, nur jede zweite Runde strahlte ein Tenorschlag hervor. Diese Anordnung wird nur beim Tod einer Monarchin, eines Monarchen eingesetzt.
Doch das war nicht alles so einfach, denn nach der Todesnachricht und dem ersten Trauerläuten fand am Samstag bereits die Proklamation von Charles III statt. Als die Queen starb, wurde er in dem Moment schon automatisch König. Aber man muss es noch verkünden. Dies ist natürlich ein freudiges Ereignis, man hat einen neuen Souverän. Also die Klöppelhüllen wieder abgenommen.
Die Verkündigung folgt einem alten Ritual. Am Samstag fand sie in London statt. Am nächsten Mittag erst, dem Sonntag, in Belfast, Cardiff und Edinburgh, den Hauptstädten des UNITED KINGDOMS. Einige Stunden später in großen Städten und um 16 Uhr dann schließlich auf Stadt- und Gemeindeebene. Diese Tradition kommt aus der Zeit der Pferdeboten und Postkutschen und wurde beibehalten, vermutlich, damit man die ganzen Zeremonien überhaupt geschafft bekam.
Man musste um vier Uhr am Sonntag in Plymouth also nicht überrascht tun, dass es einen neuen König gab. Man durfte es bereits wissen.
Die Proklamation fand vor der so genannten Zunfthalle statt, nahe des Münsters, in dem wir schon bereit standen, Seil in Hand. Nach der Ausrufung des neuen Monarchen haben wir dann 40 Minuten geläutet. Am Stück und mit 8 Glocken. Das war das erste Mal, dass ich mit 8 (anstatt der einfacheren 6) Glocken einen dieser Quarter Peels genannten „Stücke“ durchgestanden habe. Ich habe also die Gelegenheit genutzt, meine eigene Geschichte weiterzuschreiben, meine Läutegeschichte.
Wir waren sogar in den Lokalnachrichten der BBC. Das Video dazu will sich nicht hochladen lassen, deshalb ein paar Schnappschüsse davon. Die Sendung wurden von vielen Leuten gesehen, ich wurde mehrfach darauf angesprochen.
Nach der Proklamation wurden die Glocken landauf, landab wieder gedämpft, für Proben, für besonderes Läuten, wir durften läuten, was immer wir wann wollten, bis zur Beerdigung am Montag, 19. September, 11 Uhr. Davor haben wir zum letzten Mal für diese Kette der Ereignisse geläutet.
Anschließend bin ich langsam nach Hause gegangen. Es war ein nationaler Feiertag ausgerufen worden. Die Straßen waren wie leergefegt, sogar die Supermärkte, die hierzulande an Sonn- und Feiertagen nie geschlossen haben, waren zu. Aus Pubs und einigen Wohnzimmern klangen die Geräusche des Trauerfeier.
Ein Abschluss
Das wäre es für mich gewesen, doch auch bei uns zu Hause lief der Fernseher, auf dem gerade der Sarg aus der Westminster Abbey getragen werden sollte. Erst noch ein herzzerreißendes Ständchen des persönlichen (verrückter Job) Dudelsackpfeifers der Königin, bei dem man sich denken konnte, Dudelsack ist gegen alle Erwartung doch ein schönes Instrument, und endlich nahmen englische Soldaten die Bürde des Sargtragens auf sich. Wie ihre schottischen Kollegen meisterten sie ihre Aufgabe mit Bravour. Draußen gelangte der Sarg auf einen altmodischen Kanonenwagen, der von Marinesoldat:innen gezogen wurde. Ich wollte nur kurz dabeibleiben, doch aus einer Minute wurde fast eine Stunde. Es war zu faszinierend. Besser geht es nicht. DAS war ein ordentlicher Trauerzug, mit einem Sarg, auf dem eine Krone lag. Dieser Kontrast: ein nach menschlichen Wertmaßstäben unschätzbares Geschmeide und ein (ohne Respektlosigkeit) Häuflein Gebein. Jetzt braucht niemand mehr zu sterben, diese Inszenierung war makellos, kann nicht übertroffen werden.
Leider läutet sie nicht das Ende der Monarchie ein. Schon wird jedes Wort von Charles III gedreht und gewendet, man erwartet eine Verschlankung des Apparats, aber natürlich keine Abdankung. Derweil haben wir eine neue Premierministerin, eine der letzten Personen, die Elisabeth II in ihrem langen Leben getroffen hat. Sie ist, nach allen Berichten, eine beinharte Ideologin und will die großen Probleme des Landes mit anerkannt altmodischen Wirtschaftstheorien lösen. Das Problem mit Ideologien jedweder Farbe ist, dass sie glauben, die Wirklichkeit nach ihrem Bilde formen zu können. Ob die Wirklichkeit jetzt will oder nicht. Das geht selten gut aus. Vielleicht wird sie nicht so beratungsresitent wie ihr Vorgänger sein, die nächsten Wochen werden es zeigen.
Der eine Premier ist gegangen, eine neue Prime Minister ist im Amt.